Fachbezogene Vorbemerkungen
1. Fachspezifischer Bildungsauftrag (Bildungswert des Faches)
Die Naturwissenschaft Chemie liefert einen wesentlichen Beitrag zur Beantwortung der Frage, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Sie prägt durch ihre naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweise, durch Erkenntnisse und die daraus resultierenden Anwendungen grundlegend unsere moderne Gesellschaft und kulturelle „Identität“. Darüber hinaus ist die Chemie für die ökologische und ökonomische Entwicklung unserer Gesellschaft und als Grundlage vieler Berufe von besonderer Bedeutung.
Kennzeichnend für die Chemie ist – in der Beschreibung der stofflichen Welt – die wechselnde Betrachtung von Stoff- und Stoffumwandlungen sowohl auf der Stoff- als auch auf der Teilchenebene sowie die Verknüpfung beider Ebenen zur Erklärung von Phänomenen und Sachverhalten, auch unter energetischen Aspekten. Dazu nutzt die Chemie Experimente und Modelle über die Struktur und über den Ablauf von Stoffumwandlungen sowie die damit einhergehenden Energieumsätze.
Der Chemieunterricht der gymnasialen Oberstufe des Beruflichen Gymnasiums liefert einen fachlichen Zugang zur Beurteilung von Umwelt- Verbraucher- oder Alltagsfragen, von technischen Entwicklungen und Ressourcenfragen. Die Schülerinnen und Schüler beobachten und beschreiben Phänomene, bilden und überprüfen Hypothesen, führen experimentelle Untersuchungen durch und erfassen und interpretieren Daten.
Diese spezifischen Denk- und Arbeitsweisen in der Chemie führen zu einer besonderen Förderung kognitiver Fähigkeiten. Das selbstständige, sicherheitsgerechte Experimentieren, die Verwendung einer korrekten Fachsprache und das kriterien- und theoriengeleitete Argumentieren und Strukturieren fachwissenschaftlicher Erkenntnisse haben eine zentrale Bedeutung nicht nur innerhalb der Fachwissenschaft Chemie. Die Schülerinnen und Schüler transferieren und nutzen diese Denk- und Arbeitsweisen auch als Strategien in ihren Lebensalltag und in einer Vielzahl von Berufsfeldern oder Studiengängen.
Damit hat die „Chemische Bildung“ einen wesentlichen Einfluss auf den lebenslangen individuellen Kompetenzaufbau und stellt einen wichtigen Teilbereich der Allgemeinbildung dar. Schülerinnen und Schüler begegnen in ihrer Lebenswelt einer Vielzahl von Produkten der chemischen Industrie und aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen, die in einem chemischen Kontext stehen und gesellschaftspolitisch diskutiert werden. Deshalb ist Ziel eines zeitgemäßen Chemieunterrichtes, jeden Einzelnen zu befähigen, seiner Verantwortung in der durch die Naturwissenschaft Chemie geprägten Lebenswelt bewusst nachzukommen.
2. Fachliche Aussagen zum Kompetenzerwerb, prozessbezogene Kompetenzen
Kompetenzorientierter Unterricht bietet die Möglichkeit, Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten selbstständig und nachhaltig aufzubauen, zu reflektieren und in verschiedenen Situationen verantwortungsvoll einzusetzen.
Die Schülerinnen und Schüler entwickeln im aktiven Umgang mit spezifischen Inhalten die Kompetenzen, die für die Naturwissenschaften von zentraler Bedeutung sind. Erkenntnisse gewinnen, Kommunizieren und Bewerten stehen für Fähigkeiten und Fertigkeiten, die dafür charakteristisch sind. Naturwissenschaftlich fachkompetente Schülerinnen und Schüler verfügen über Sach-, Erkenntnisgewinnungs-, Kommunikations- und Bewertungskompetenz. Diese vier Kompetenzbereiche durchdringen einander und bilden gemeinsam die Fachkompetenz.
Die Sachkompetenz der Schülerinnen und Schüler zeigt sich in der Kenntnis naturwissenschaftlicher Konzepte, Theorien und Verfahren und der Fähigkeit, diese zu beschreiben und zu erklären sowie geeignet auszuwählen und zu nutzen, um Sachverhalte aus fach- und alltagsbezogenen Anwendungsbereichen zu verarbeiten.
Die Erkenntnisgewinnungskompetenz der Schülerinnen und Schüler zeigt sich in der Kenntnis von naturwissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen und in der Fähigkeit, diese zu beschreiben, zu erklären und zu verknüpfen, um Erkenntnisprozesse nachvollziehen oder gestalten zu können und deren Möglichkeiten und Grenzen zu reflektieren.
Die Kommunikationskompetenz der Schülerinnen und Schüler zeigt sich in der Kenntnis von Fachsprache, fachtypischen Darstellungen und Argumentationsstrukturen und in der Fähigkeit, diese zu nutzen, um fachbezogene Informationen zu erschließen, adressaten- und situationsgerecht darzustellen und auszutauschen.
Die Bewertungskompetenz der Schülerinnen und Schüler zeigt sich in der Kenntnis von fachlichen und überfachlichen Perspektiven und Bewertungsverfahren und in der Fähigkeit, diese zu nutzen, um Aussagen bzw. Daten anhand verschiedener Kriterien zu beurteilen, sich dazu begründet Meinungen zu bilden, Entscheidungen auch auf ethischer Grundlage zu treffen und Entscheidungsprozesse und deren Folgen zu reflektieren.
Für nachhaltig gewinnbringendes Lernen ist es von großer Bedeutung, dass alle Kompetenzbereiche im Unterricht bewusst und ausgewogen gefördert werden. Die Kompetenzen entwickeln sich bei den Schülerinnen und Schülern über die Eingangsklasse und Jahrgangsstufen hinweg und werden im Bildungsplan vielfältig inhaltsbezogen konkretisiert.
Der Vielfalt naturwissenschaftlicher Phänomene liegen im Fach Chemie gemeinsame Prinzipien zugrunde, die sich als Basiskonzepte beschreiben lassen. Die Basiskonzepte für die Allgemeine Hochschulreife im Fach Chemie
- Konzept vom Aufbau und von den Eigenschaften der Stoffe und ihrer Teilchen,
- Konzept der chemischen Reaktion und
- Energiekonzept
ermöglichen daher die Vernetzung und Systematisierung fachlicher Inhalte und deren Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven aufgrund vergleichbarer Strukturierungselemente. Damit erleichtern sie kumulatives Lernen, den Aufbau von strukturiertem Wissen und die Erschließung neuer Inhalte. Das Fach Chemie ist im Besonderen durch eine Betrachtung der Analyse und Synthese von Stoffen, der Beschreibung ihres Aufbaus und ihrer Eigenschaften und energetischer Zusammenhänge gekennzeichnet, woraus die drei Basiskonzepte resultieren. Sie beziehen sich auf die Struktur der Stoffe, deren Umwandlungen durch chemische Reaktionen und die damit einhergehenden energetischen Prozesse.
Da die Kompetenzen in allen vier Bereichen nur an Fachinhalten erworben werden können, stellen die Basiskonzepte die Grundlage für die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Kompetenz dar (vgl. Bildungsstandards im Fach Chemie für die Allgemeine Hochschulreife der KMK i. d. F. vom 18.06.2020).
3. Ergänzende fachliche Hinweise
Für den nachhaltigen Erwerb chemischer Fachkompetenzen ist die sachlogische Fachsystematik der Wissensgebiete mit lebensweltbezogenen Kontexten zu verknüpfen. Bei der Behandlung verschiedener Inhalte sind die zugrundeliegenden Basiskonzepte der Chemie zu berücksichtigen. Hierdurch kann den Schülerinnen und Schülern die systematische Wissensaneignung erleichtert werden, die sich nicht vordergründig an den chemischen Inhalten, sondern an den wesentlichen Konzepten der Chemie orientiert.
Der Chemieunterricht leistet durch die Gestaltung verschiedener Lehr- und Lernarrangements seinen Beitrag dazu,
- bei den Schülerinnen und Schülern Interesse zu wecken und sie zu motivieren, Phänomene der Natur, der Technik und des Alltags aus chemischer Perspektive – zunehmend abstrakter und komplexer – zu betrachten,
- lebensweltbezogene Aspekte einzubeziehen, z. B. durch die Auswahl von „Lerngegenständen“, die für die Schülerinnen und Schülern jetzt und im späteren Leben relevant sind,
- die Methoden der Erkenntnisgewinnung mit Modellen zu reflektieren sowie die Grenzen dieser Modelle zu bewerten,
- durch Demonstrations- und Schülerexperimente in systematischer Weise den empirischen Charakter der Naturwissenschaft Chemie zu verdeutlichen,
- naturwissenschaftliche Sachverhalte fachsprachlich darzustellen, zu diskutieren und zu argumentieren und eine korrekte Fachsprache zu nutzen und einzufordern,
- Schülerinnen und Schüler zu einem sicheren, zeitgemäßen und nachhaltigen Umgang mit Umwelt und Ressourcen im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung zu erziehen,
- chemische Fragestellungen auch in Fächer übergreifenden Kontexten zu betrachten und zu bewerten,
- bei den Schülerinnen und Schülern die Fähigkeit zu entwickeln, Inhalte verschiedener Quellen fachwissenschaftlich auszuwählen und zu beurteilen,
- durch die Nutzung digitaler Medien Kompetenzen für das Lernen und Leben in einer digitalen Welt zu entwickeln,
- zu erkennen und zu reflektieren, wie die Chemie unser Leben und die Gesellschaft in materieller, intellektueller und kultureller Hinsicht ständig verändert.
In der Eingangsklasse des Beruflichen Gymnasiums werden die Basiskonzepte aus der Sekundarstufe I in den drei Basiskonzepten für die Oberstufe weiterentwickelt. Insofern bildet die Eingangsklasse das Bindeglied zwischen der Sekundarstufe I und II.
Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der BPE 1: Dort wiederholen und vertiefen die Schülerinnen und Schüler als Einstieg in den Oberstufenunterricht den naturwissenschaftlichen Erkenntnisweg an ausgewählten Beispielen und unterscheiden konsequent die Stoff- und Teilchenebene als die wechselnde Betrachtungsweise in der Chemie.
In der Jahrgangsstufe 1 und 2 wird die Fachkompetenz aus der Sekundarstufe I ergänzt und weiterentwickelt. Der Übergang von qualitativer zu quantitativer Beschreibung steht besonders bei der Betrachtung chemischer Reaktionen, auch unter energetischen und kinetischen Gesichtspunkten, im Vordergrund. Wesentliche Grundlagen der Kohlenstoffchemie werden auch auf sauerstoffhaltige Kohlenwasserstoffverbindungen erweitert und die Schülerinnen und Schüler damit befähigt, ihre Kenntnisse auf natürliche und synthetische Makromoleküle anzuwenden. Auf diesen Grundlagen treffen sie begründete Entscheidungen in Alltagssituationen.
Hinweise zum Umgang mit dem Bildungsplan
Der Bildungsplan zeichnet sich durch eine Inhalts- und eine Kompetenzorientierung aus. In jeder Bildungsplaneinheit (BPE) werden in kursiver Schrift die übergeordneten Ziele beschrieben, die durch Zielformulierungen sowie Inhalts- und Hinweisspalte konkretisiert werden. In den Zielformulierungen werden die jeweiligen fachspezifischen Operatoren als Verben verwendet. Operatoren sind handlungsinitiierende Verben, die signalisieren, welche Tätigkeiten beim Bearbeiten von Aufgaben erwartet werden. Die für das jeweilige Fach relevanten Operatoren sowie deren fachspezifische Bedeutung sind jedem Bildungsplan im Anhang beigefügt. Durch die kompetenzorientierte Zielformulierung mittels dieser Operatoren wird das Anforderungsniveau bezüglich der Inhalte und der zu erwerbenden Kompetenzen definiert. Die formulierten Ziele und Inhalte sind verbindlich und damit prüfungsrelevant. Sie stellen die Regelanforderungen im jeweiligen Fach dar. Die Inhalte der Hinweisspalte sind unverbindliche Ergänzungen zur Inhaltsspalte und umfassen Beispiele, didaktische Hinweise und Querverweise auf andere Fächer bzw. BPE.
Der VIP-Bereich des Bildungsplans umfasst die Vertiefung, individualisiertes Lernen sowie Projektunterricht. Im Rahmen der hier zur Verfügung stehenden Stunden sollen die Schülerinnen und Schüler bestmöglich unterstützt und bei der Weiterentwicklung ihrer personalen und fachlichen Kompetenzen gefördert werden. Die Fachlehrerinnen und Fachlehrer nutzen diese Unterrichtszeit nach eigenen Schwerpunktsetzungen auf Basis der fächerspezifischen Besonderheiten und nach den Lernvoraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler.
Der Teil „Zeit für Leistungsfeststellung“ des Bildungsplans berücksichtigt die Zeit, die zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Leistungsfeststellungen zur Verfügung steht. Dies kann auch die notwendige Zeit für die gleichwertige Feststellung von Schülerleistungen (GFS), Nachbesprechung zu Leistungsfeststellungen sowie Feedback-Gespräche umfassen.