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Ein­füh­rung in den Bil­dungs­plan 2016

Hans Anand Pant

War­um ein »neu­er« Bil­dungs­plan? An­läs­se und Ab­sich­ten der Bil­dungs­plan­re­form

Zwölf Jah­re nach dem Bil­dungs­plan von 2004 stellt das Mi­nis­te­ri­um für Kul­tus, Ju­gend und Sport ei­nen neu­en – oder bes­ser ge­sagt: wei­ter­ent­wi­ckel­ten – Bil­dungs­plan für die all­ge­mein bil­den­den Schu­len des Lan­des Ba­den-Würt­tem­berg vor. Ei­ne gan­ze Rei­he von fach­li­chen und ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen be­grün­det die­sen Schritt. So wur­de der Bil­dungs­plan von 2004 un­mit­tel­bar vor der Ver­ab­schie­dung der län­der­über­grei­fen­den Bil­dungs­stan­dards der Kul­tus­mi­nis­ter­kon­fe­renz (KMK) al­ler 16 Län­der er­ar­bei­tet. Seit­dem ha­ben die Län­der in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ih­re Bil­dungs­plä­ne und Kern­cur­ri­cu­la an die­sen ver­bind­li­chen KM­K-Vor­ga­ben aus­ge­rich­tet und ent­spre­chend neu ver­fasst. Die zen­tra­le Neue­rung be­trifft da­bei fast über­all die Um­stel­lung auf ei­ne durch­gän­gi­ge Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung, zu de­ren Be­deu­tung im Fol­gen­den noch Nä­he­res aus­ge­führt wer­den soll. Zwar wies auch der ba­den-würt­tem­ber­gi­sche Bil­dungs­plan von 2004 ei­nen star­ken Be­zug zum Kom­pe­tenz­kon­zept auf, er konn­te da­mals aber noch nicht auf die bil­dungs­theo­re­ti­schen, päd­ago­gi­schen und fach­di­dak­ti­schen Dis­kus­sio­nen des Kom­pe­tenz­ver­ständ­nis­ses so­wie die schul­prak­ti­schen Er­fah­run­gen zu­rück­grei­fen, die in den Jah­ren nach Ein­füh­rung der KM­K-Bil­dungs­stan­dards ge­sam­melt wur­den. Dies greift der vor­lie­gen­de Bil­dungs­plan auf.

Die Bil­dungs­sys­te­me der Län­der wur­den durch die Er­geb­nis­se der in­ter­na­tio­na­len Schul­leis­tungs­ver­glei­che wie PISA oder TIM­MS um das Jahr 2000 kalt er­wischt. Zur Er­in­ne­rung: Die Leis­tun­gen im Le­sen be­fan­den sich im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich im un­te­ren Drit­tel, die Leis­tun­gen im ma­the­ma­tisch-na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Be­reich wa­ren bes­ten­falls durch­schnitt­lich. Ein er­schre­ckend gro­ßer An­teil der 15-Jäh­ri­gen in Deutsch­land – mehr als je­der Fünf­te – konn­te nur un­zu­rei­chend le­sen oder rech­nen. Ge­ne­rell zeig­te sich, dass Schü­le­rin­nen und Schü­ler aus un­te­ren so­zia­len Schich­ten und ins­be­son­de­re die­je­ni­gen mit Zu­wan­de­rungs­hin­ter­grund in den Schu­len hier­zu­lan­de be­nach­tei­ligt wa­ren.

Durch die­se für Deutsch­land er­nüch­tern­den Er­geb­nis­se hat sich die staat­li­che Sicht auf die Fra­ge grund­le­gend ge­wan­delt, wie die Qua­li­tät des Schul­sys­tems am bes­ten ge­steu­ert wer­den kann. Die Auf­merk­sam­keit rich­te­te sich nicht mehr al­lein auf die Fra­ge, wel­che fach­li­chen In­hal­te, wel­cher „Stoff“ al­so in der Schu­le bei­ge­bracht wer­den soll, son­dern stär­ker auch auf die Fra­ge, was Schü­le­rin­nen und Schü­ler am En­de be­stimm­ter Bil­dungs­ab­schnit­te wirk­lich wis­sen und kön­nen (sol­len). Aus stof­f-in­halt­lich ge­präg­ten, tra­di­tio­nel­len Lehr- oder Rah­men­plä­nen wur­den kom­pe­tenz­ori­en­tier­te Bil­dungs­plä­ne.

Ins­ge­samt wur­de in Fol­ge der schwa­chen PISA-Er­geb­nis­se ei­ne gan­ze Rei­he bil­dungs­po­li­ti­scher Re­for­men in An­griff ge­nom­men, wie bei­spiels­wei­se der Aus­bau von Ganz­tags­an­ge­bo­ten, die ver­bes­ser­te Durch­läs­sig­keit von Bil­dungs­gän­gen oder die fast flä­chen­de­cken­de Be­reit­stel­lung von Sprach­för­der­an­ge­bo­ten im vor­schu­li­schen und schu­li­schen Be­reich. Die Re­sul­ta­te des zwei­ten PISA-Zy­klus ab 2009 be­le­gen, dass sich vor al­lem die Kom­pe­ten­zen der Schü­le­rin­nen und Schü­ler aus Zu­wan­de­rungs­fa­mi­li­en deutsch­land­weit stark ver­bes­sert ha­ben. Dies ist fast al­lein da­für ver­ant­wort­lich, dass Deutsch­land im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich in­zwi­schen deut­lich bes­ser da­steht als noch zu Be­ginn des Jahr­tau­sends.

Die Ent­kopp­lung von so­zia­ler Her­kunft, Zu­wan­de­rungs­ge­schich­te und Bil­dungs­er­folg so­wie die An­he­bung des Kom­pe­tenz­ni­veaus ins­be­son­de­re in den ma­the­ma­tisch-na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Fä­chern stel­len für sich ge­nom­men be­reits er­heb­li­che Her­aus­for­de­run­gen für al­le Bil­dungs­sys­te­me dar. Seit Ver­ab­schie­dung des Bil­dungs­plans 2004 in Ba­den-Würt­tem­berg sind be­deu­ten­de de­mo­gra­fi­sche und ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Ent­wick­lun­gen hin­zu­ge­kom­men, de­nen die Schu­len des Lan­des und da­mit auch die­ser neue Bil­dungs­plan sich stel­len müs­sen. Ei­ni­ge Bei­spie­le:

  • Wie in den meis­ten Flä­chen­län­dern ge­hen auch in Ba­den-Würt­tem­berg die Vor­aus­rech­nun­gen zur Be­völ­ke­rungs­ent­wick­lung von ei­ner wei­te­ren Ver­än­de­rung der Al­ters­struk­tur aus. Da­nach ist bis zum Jahr 2030 ein Rück­gang der un­ter 20-Jäh­ri­gen von der­zeit knapp 20 % auf et­was un­ter 18 % zu er­war­ten. Da­mit ver­bun­den ist ein An­stieg des Durch­schnitts­al­ters der Be­völ­ke­rung. 1990 lag die­ser Wert bei 38,8 Jah­ren, bis zum Jahr 2012 war er auf 43,0 Jah­re an­ge­stie­gen, für 2030 er­ge­ben die Vor­aus­rech­nun­gen ein Durch­schnitts­al­ter von 45,7 Jah­ren (Lan­des­in­sti­tut für Schul­ent­wick­lung & Sta­tis­ti­sches Lan­des­amt Ba­den-Würt­tem­berg, 2015).
    Dies hat zur Fol­ge, dass nicht al­le Schul­stand­or­te in­ner­halb ei­nes stark ge­glie­der­ten Schul­we­sens er­hal­ten blei­ben kön­nen. Ba­den-Würt­tem­berg hat dar­auf mit ei­ner re­gio­na­len Schul­ent­wick­lung re­agiert, die ei­ne Los­lö­sung vom Den­ken in Schul­ar­ten be­deu­tet und statt­des­sen die Bil­dungs­ab­schlüs­se stär­ker in den Blick nimmt. Da­mit wird die Chan­ce er­öff­net, dass al­len Schü­le­rin­nen und Schü­lern der von ih­nen ge­wünsch­te und ih­ren Fä­hig­kei­ten ent­spre­chen­de Ab­schluss in zu­mut­ba­rer Er­reich­bar­keit zu ih­rem Wohn­ort an­ge­bo­ten wer­den kann. Er­klär­tes Ziel ist die Schaf­fung ei­nes Zwei-Säu­len-Sys­tems, des­sen ei­ne Säu­le das Gym­na­si­um ist. Die zwei­te Säu­le soll aus ei­nem in­te­gra­ti­ven Bil­dungs­weg be­stehen, der sich aus den auf der Grund­schu­le auf­bau­en­den Schul­ar­ten ent­wi­ckelt. Die Ein­füh­rung der Ge­mein­schafts­schu­le zum Schul­jahr 2012/13, die Schü­le­rin­nen und Schü­ler je nach in­di­vi­du­el­ler Leis­tungs­vor­aus­set­zung und Lern­ent­wick­lung auf den Haupt­schul­ab­schluss, den Re­al­schul­ab­schluss oder das Ab­itur vor­be­rei­tet, war hier­zu ein wich­ti­ger Schritt.
  • Nach den Er­geb­nis­sen des Mi­kro­zen­sus 2013 leb­ten in die­sem Jahr fast 3 Mil­lio­nen Men­schen mit Zu­wan­de­rungs­hin­ter­grund im wei­te­ren Sinn in Ba­den-Würt­tem­berg; das ent­spricht knapp 28 % der Ge­samt­be­völ­ke­rung. Mit fast 818.000 Kin­dern, Ju­gend­li­chen und jun­gen Er­wach­se­nen wa­ren na­he­zu 28 % und da­mit mehr als ein Vier­tel jün­ger als 20 Jah­re. Das be­deu­tet auch, dass in der Grup­pe der un­ter 20-Jäh­ri­gen fast 40 % der Be­völ­ke­rung Ba­den-Würt­tem­bergs ei­nen Zu­wan­de­rungs­hin­ter­grund ha­ben (Lan­des­in­sti­tut für Schul­ent­wick­lung & Sta­tis­ti­sches Lan­des­amt Ba­den-Würt­tem­berg, 2015).
  • Der ba­den-würt­tem­ber­gi­sche In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer­tag pro­gnos­ti­ziert im Jahr 2015 bis zum Jahr 2030 über al­le Bran­chen hin­weg ei­nen flä­chen­de­cken­den Fach­kräf­te­man­gel von 9,1 % be­zo­gen auf die Fach­kräf­te­nach­fra­ge (Ba­den-Würt­tem­ber­gi­scher In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer­tag, 2015).
  • Nach der neu­es­ten Vor­aus­rech­nung der Kul­tus­mi­nis­ter­kon­fe­renz (Stand 2014/15) wird im Zeit­raum zwi­schen 2013 und 2025 die Zahl der Stu­di­en­an­fän­ger im 1. Hoch­schuls­e­mes­ter in Ba­den-Würt­tem­berg um 15 % zu­rück­ge­hen, bun­des­weit hin­ge­gen nur um 10 %.
  • Im Zu­ge der Um­set­zung der UN-Be­hin­der­ten­rechts­kon­ven­ti­on von 2006 durch ei­ne ent­spre­chen­de Ge­setz­ge­bung wur­de zum Schul­jahr 2015/16 in Ba­den-Würt­tem­berg die In­k­lu­si­on im Schul­ge­setz ver­an­kert. Im Sin­ne glei­cher Teil­ha­be­chan­cen soll das ge­mein­sa­me Ler­nen von jun­gen Men­schen mit und oh­ne Be­hin­de­rung selbst­ver­ständ­li­cher Be­stand­teil des all­ge­mei­nen Bil­dungs­we­sens sein. Schu­le und Un­ter­richt müs­sen des­halb so kon­zi­piert wer­den, dass jun­ge Men­schen mit ei­nem fest­ge­stell­ten An­spruch auf ein son­der­päd­ago­gi­sches Bil­dungs­an­ge­bot für sich ein Höchst­maß an Un­ab­hän­gig­keit und Selbst­be­stim­mung er­rei­chen. In in­klu­si­ven Bil­dungs­an­ge­bo­ten stel­len die Bil­dungs­plä­ne der son­der­päd­ago­gi­schen Bil­dungs- und Be­ra­tungs­zen­tren ei­ne wich­ti­ge Ori­en­tie­rungs­grund­la­ge für den Un­ter­richt mit Schü­le­rin­nen und Schü­lern mit ei­nem fest­ge­stell­ten An­spruch auf ein son­der­päd­ago­gi­sches Bil­dungs­an­ge­bot dar.

Zu­sam­men­ge­nom­men er­ge­ben die ge­nann­ten Ent­wick­lun­gen und Her­aus­for­de­run­gen seit dem Er­schei­nen des Bil­dungs­plans 2004 ge­nü­gend An­läs­se für ei­ne sub­stan­zi­el­le und ziel­ge­rich­te­te Bil­dungs­plan­re­form.

Er­klär­tes Ziel der Bil­dungs­plan­re­form ist die Stär­kung der Bil­dungs­ge­rech­tig­keit in Ba­den-Würt­tem­berg. Da­zu zäh­len der Ab­bau von Bil­dungs­hür­den, die Ver­bes­se­rung der Durch­läs­sig­keit im Bil­dungs­sys­tem und ei­ne sys­te­ma­ti­sche in­di­vi­du­el­le För­de­rung als Grund­la­ge für ei­nen an­ge­mes­se­nen Um­gang mit He­te­ro­ge­ni­tät.

Lei­tend für die Bil­dungs­plan­re­form 2016 wa­ren fol­gen­de Eck­punk­te:

  • Als wei­te­strei­chen­de struk­tu­rel­le Neue­rung gibt es erst­mals ei­nen ge­mein­sa­men, ab­schluss­be­zo­ge­nen Bil­dungs­plan für die Se­kun­dar­stu­fe I, der die Ein­zel­plä­ne für Werk­re­al­schu­le, Haupt­schu­le und Re­al­schu­le ab­löst. Die­ser Bil­dungs­plan gilt für die ge­nann­ten Schul­ar­ten so­wie für die Ge­mein­schafts­schu­le und weist durch­gän­gig drei Ni­veau­stu­fen aus:
    – ein grund­le­gen­des Ni­veau (G), das zum Haupt­schul- und mit ei­ner Pha­se der Ver­tie­fung zum Werk­re­al­schul­ab­schluss führt,
    – ein mitt­le­res Ni­veau (M), das zum Re­al­schul­ab­schluss führt, und
    – ein er­wei­ter­tes, gym­na­sia­les Ni­veau (E), das Schü­le­rin­nen und Schü­lern ei­nen neun­jäh­ri­gen Bil­dungs­weg zum Ab­itur er­öff­net.
  • Da­mit wird die Grund­la­ge für in­di­vi­dua­li­sier­te Lern­an­ge­bo­te ge­schaf­fen, die auf die un­ter­schied­li­chen Fä­hig­kei­ten und die in­di­vi­du­el­len Lern- und Leis­tungs­ent­wick­lun­gen der Schü­le­rin­nen und Schü­ler ein­ge­hen sol­len.
  • Der ei­gen­stän­di­ge Bil­dungs­plan für das Gym­na­si­um ist in­halt­lich und struk­tu­rell mit dem ge­mein­sa­men Bil­dungs­plan ab­ge­stimmt.
  • Der Bil­dungs­plan der Grund­schu­le knüpft an den ba­den-würt­tem­ber­gi­schen Ori­en­tie­rungs­plan für Bil­dung und Er­zie­hung im vor­schu­li­schen Be­reich an und schafft die Grund­la­ge für al­le wei­ter­füh­ren­den Bil­dungs­gän­ge. In der Grund­schu­le be­ginnt die Fremd­spra­che in der ers­ten Klas­se und ist an der Rhein­schie­ne Fran­zö­sisch, in den üb­ri­gen Lan­des­tei­len Eng­lisch.
  • In sechs Leit­per­spek­ti­ven wer­den Fä­hig­keits­be­rei­che an­ge­spro­chen, die nicht ei­nem ein­zi­gen Fach zu­ge­ord­net, son­dern über­grei­fend in ver­schie­de­nen Fä­chern ent­wi­ckelt wer­den sol­len. Leit­per­spek­ti­ven sind: Bil­dung für nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung (BNE), Bil­dung für To­le­ranz und Ak­zep­tanz von Viel­falt (BTV), Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung (PG), Be­ruf­li­che Ori­en­tie­rung (BO), Me­di­en­bil­dung (MB), Ver­brau­cher­bil­dung (VB).
  • Die zwei­te Fremd­spra­che be­ginnt in Gym­na­si­um, Re­al­schu­le und Ge­mein­schafts­schu­le ein­heit­lich in Klas­se 6. Ziel ist es un­ter an­de­rem, hier­durch das bi­lin­gua­le Leh­ren und Ler­nen zu stär­ken.
  • Die bis­he­ri­gen schul­art­spe­zi­fi­schen Fä­cher­ver­bün­de wer­den auf­ge­löst. Stär­ker fach­be­zo­ge­ne Bil­dungs­plä­ne stel­len die Be­deu­tung der Fach­lich­keit und die En­wick­lung der fach­li­chen Kom­pe­ten­zen der Schü­le­rin­nen und Schü­ler in den Mit­tel­punkt; auf der Ba­sis ge­fes­tig­ter fach­li­cher Kom­pe­ten­zen kön­nen die As­pek­te fä­cher­ver­bin­den­den Ler­nens zum Tra­gen kom­men.
  • In dem neu­en schul­ar­ten­über­grei­fen­den Fä­cher­ver­bund „Bio­lo­gie, Na­tur­phä­no­me­ne und Tech­nik“ (BNT) für die Ori­en­tie­rungs­stu­fe (5. und 6. Klas­se) sind ne­ben Schwer­punkt­the­men der Bio­lo­gie auch che­mi­sche, phy­si­ka­li­sche und tech­ni­sche In­hal­te ver­an­kert. In­te­gra­ti­ve The­men­fel­der wei­sen das Fä­cher­ver­bin­den­de aus.
  • Durch das in al­len wei­ter­füh­ren­den Schul­ar­ten neu ein­ge­führ­te Fach „Wirt­schaft / Be­rufs- und Stu­di­en­ori­en­tie­rung“ sol­len die öko­no­mi­sche Bil­dung der Schü­le­rin­nen und Schü­ler und de­ren Be­rufs- und Stu­di­en­ori­en­tie­rungs­pro­zess ge­för­dert wer­den.
  • Das neue Wahl­pflicht­fach „All­tags­kul­tur, Er­näh­rung, So­zia­les“ (AES) im ge­mein­sa­men Bil­dungs­plan der Se­kun­dar­stu­fe I har­mo­ni­siert die In­hal­te der bis­he­ri­gen Wahl­pflicht­fä­cher „Mensch und Um­welt“ (Re­al­schu­le) und „Ge­sund­heit und So­zia­les“ (Werk­re­al­schu­le / Haupt­schu­le) so­wie des Fä­cher­ver­bunds „Wirt­schaft – Ar­beit – Ge­sund­heit“ (Werk­re­al­schu­le / Haupt­schu­le).

Oh­ne Zwei­fel stel­len die Zie­le der Bil­dungs­plan­re­form 2016 und die da­zu auf­ge­stell­ten Eck­punk­te ein am­bi­tio­nier­tes Pro­gramm der Wei­ter­ent­wick­lung des Bil­dungs­plans von 2004 dar. Lan­des­re­gie­rung und Kul­tus­ver­wal­tung ha­ben zahl­rei­che Maß­nah­men in­iti­iert und be­glei­ten­de Gre­mi­en ein­ge­setzt, die die neu­en Bil­dungs­plä­ne schon vor de­ren Ver­ab­schie­dung zu ei­nem im bes­ten Sin­ne öf­fent­li­chen Gut wer­den lie­ßen.

Was soll und darf ein Bil­dungs­plan – und was darf er nicht? Die ge­setz­li­chen Grund­la­gen im fö­de­ra­len Ver­fas­sungs­staat

Der schu­li­sche All­tag ist von recht­li­chen Re­ge­lun­gen durch­drun­gen. In Schu­len wer­den No­ten ver­ge­ben und be­rech­net, Zeug­nis­se er­teilt, an Schu­len wer­den in Form der Ab­schlüs­se wich­ti­ge Über­gangs- und Zu­gangs­be­rech­ti­gun­gen er­wor­ben.

Ge­ra­de weil die an Schu­len ge­bahn­ten und ge­trof­fe­nen Ent­schei­dun­gen für die in­di­vi­du­el­len Le­bens­we­ge al­ler Schü­le­rin­nen und Schü­ler exis­ten­zi­ell sind und die Zu­kunfts­chan­cen hin­sicht­lich Sta­tus, Ein­kom­men, Ge­sund­heit, Le­bens­zu­frie­den­heit und mög­li­cher­wei­se auch Glück we­sent­lich (mit‑)be­stim­men, ver­bleibt die obers­te Auf­sicht über das Schul­we­sen in den Hän­den des Staa­tes (Ar­ti­kel 7, Ab­satz 1 Grund­ge­setz). Aus ver­fas­sungs­recht­li­cher Sicht be­steht die­se obers­te Auf­sichts­pflicht des Staa­tes über das Schul­we­sen in der Ge­stal­tung des staat­li­chen Bil­dungs- und Er­zie­hungs­auf­trags im Ein­klang mit wei­te­ren grund­ge­setz­li­chen Vor­ga­ben wie bei­spiels­wei­se dem Ent­fal­tungs­grund­recht von Kin­dern und Ju­gend­li­chen.

Aus dem sehr abs­trak­ten staat­li­chen Bil­dungs- und Er­zie­hungs­auf­trag lei­tet sich die Ver­pflich­tung des Staa­tes ab, Bil­dungs- und Er­zie­hungszie­le fest­zu­le­gen und recht­lich aus­zu­ge­stal­ten. Ei­gent­lich wä­re nun das Grund­ge­setz der ge­eig­ne­te Ort für die Fest­le­gung obers­ter Bil­dungs­zie­le. Im fö­de­ra­len Ver­fas­sungs­staat Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land liegt je­doch die Pflicht zur Wahr­neh­mung des staat­li­chen Bil­dungs- und Er­zie­hungs­auf­trags bei den Län­dern und ist dort in den Lan­des­ver­fas­sun­gen und Lan­des­schul­ge­set­zen fest­ge­schrie­ben. In den Bil­dungs­plä­nen wer­den die all­ge­mei­nen Bil­dungs- und Er­zie­hungs­zie­le im­mer wie­der neu kon­kre­ti­siert.

In der Lan­des­ver­fas­sung Ba­den-Würt­tem­bergs heißt es zu­nächst im Ar­ti­kel 12, Ab­satz 1 ganz all­ge­mein:

„Die Ju­gend ist in der Ehr­furcht vor Gott, im Geis­te der christ­li­chen Nächs­ten­lie­be, zur Brü­der­lich­keit al­ler Men­schen und zur Frie­dens­lie­be, in der Lie­be zu Volk und Hei­mat, zu sitt­li­cher und po­li­ti­scher Ver­ant­wort­lich­keit, zu be­ruf­li­cher und so­zia­ler Be­wäh­rung und zu frei­heit­li­cher de­mo­kra­ti­scher Ge­sin­nung zu er­zie­hen.“

Ei­ne recht­li­che Ebe­ne tie­fer wird das ba­den-würt­tem­ber­gi­sche Schul­ge­setz et­was kon­kre­ter, ver­bleibt aber im­mer noch sehr im All­ge­mei­nen (Schul­ge­setz §1, Ab­satz 2):

„Die Schu­le hat den in der Lan­des­ver­fas­sung ver­an­ker­ten Er­zie­hungs- und Bil­dungs­auf­trag zu ver­wirk­li­chen. Über die Ver­mitt­lung von Wis­sen, Fä­hig­kei­ten und Fer­tig­kei­ten hin­aus ist die Schu­le ins­be­son­de­re ge­hal­ten, die Schü­ler

  • in Ver­ant­wor­tung vor Gott, im Geis­te christ­li­cher Nächs­ten­lie­be, zur Men­sch­lich­keit und Frie­dens­lie­be, in der Lie­be zu Volk und Hei­mat, zur Ach­tung der Wür­de und der Über­zeu­gung an­de­rer, zu Leis­tungs­wil­len und Ei­gen­ver­ant­wor­tung so­wie zu so­zia­ler Be­wäh­rung zu er­zie­hen und in der Ent­fal­tung ih­rer Per­sön­lich­keit und Be­ga­bung zu för­dern,
  • zur An­er­ken­nung der Wert- und Ord­nungs­vor­stel­lun­gen der frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung zu er­zie­hen, die im Ein­zel­nen ei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit ih­nen nicht aus­schließt, wo­bei je­doch die frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung, wie in Grund­ge­setz und Lan­des­ver­fas­sung ver­an­kert, nicht in Fra­ge ge­stellt wer­den darf,
  • auf die Wahr­neh­mung ih­rer ver­fas­sungs­mä­ßi­gen staats­bür­ger­li­chen Rech­te und Pflich­ten vor­zu­be­rei­ten und die da­zu not­wen­di­ge Ur­teils- und Ent­schei­dungs­fä­hig­keit zu ver­mit­teln,
  • auf die Man­nig­fal­tig­keit der Le­bens­auf­ga­ben und auf die An­for­de­run­gen der Be­rufs- und Ar­beits­welt mit ih­ren un­ter­schied­li­chen Auf­ga­ben und Ent­wick­lun­gen vor­zu­be­rei­ten.“

Die­se all­ge­mei­nen Bil­dungs- und Er­zie­hungs­zie­le wer­den im Bil­dungs­plan 2016 in be­son­de­rer Wei­se in den fach­über­grei­fen­den Leit­per­spek­ti­ven auf­ge­grif­fen und in den Fach­plä­nen kon­kre­ti­siert. Die Leit­per­spek­ti­ven sind al­so in ih­rer Ge­samt­heit und ih­rem Zu­sam­men­spiel zu ver­ste­hen als zeit­ge­mä­ße Aus­le­gung sol­cher nor­ma­ti­ven Grund­la­gen, ei­ne Aus­le­gung, die je­de Ge­ne­ra­ti­on an­ge­sichts wech­seln­der Ge­gen­warts- und Zu­kunfts­auf­ga­ben von Neu­em leis­ten muss. Da­bei gilt es, As­pek­te der Per­sön­lich­keits­bil­dung und ‑stär­kung, der Bil­dung zur Ge­mein­schafts- und Teil­ha­be­fä­hig­keit in ei­ner zu­neh­mend plu­ra­len Ge­sell­schaft so­wie die Sen­si­bi­li­sie­rung für den glo­ba­len Kon­text des All­tags­han­delns in ih­rem kom­ple­xen wech­sel­sei­ti­gen Be­din­gungs­ge­fü­ge zu se­hen. Zu den pro­mi­nen­tes­ten Her­aus­for­de­run­gen zäh­len die Über­le­bens­fra­ge an­ge­sichts der Be­grenzt­heit ei­ge­ner und na­tür­li­cher Res­sour­cen (Nach­hal­tig­keit), die Ori­en­tie­rungs­fä­hig­keit, Ver­ant­wor­tungs­über­nah­me und Kon­flikt­fä­hig­keit an­ge­sichts kon­kur­rie­ren­der Gel­tungs­an­sprü­che in der mo­der­nen Ge­sell­schaft (Plu­ra­li­täts­fä­hig­keit) so­wie die Fra­ge nach ei­nem acht­sa­men Um­gang mit ei­ge­nen psy­chi­schen und phy­si­schen Mög­lich­kei­ten und Gren­zen (Resi­li­enz) so­wie de­nen des An­de­ren (Em­pa­thie). Hin­zu kom­men die Her­aus­for­de­run­gen et­wa in Ge­stalt ei­ner sich ra­sant ver­än­dern­den Be­rufs- und Ar­beits­welt, der Di­gi­ta­li­sie­rung so­wie der Öko­no­mi­sie­rung.

Die­se Sum­me an Her­aus­for­de­run­gen führt zu der Un­ter­schei­dung zwi­schen all­ge­mei­nen und the­men­spe­zi­fi­schen Leit­per­spek­ti­ven. Die­se Un­ter­schei­dung be­deu­tet kei­ne Ge­wich­tung, son­dern wirkt sich auf die Ver­an­ke­rung der Leit­per­spek­ti­ven in den ein­zel­nen Fä­chern aus. Wäh­rend die all­ge­mei­nen Leit­per­spek­ti­ven prin­zi­pi­ell je­dem Fach auf­ge­tra­gen sind, wei­sen die the­men­spe­zi­fi­schen Leit­per­spek­ti­ven ei­ne stär­ke­re Af­fi­ni­tät zu ein­zel­nen Fä­chern auf.

a) All­ge­mei­ne Leit­per­spek­ti­ven

  • Bil­dung für nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung (BNE) im Sin­ne der Be­fä­hi­gung zur ver­ant­wor­tungs­vol­len und ak­ti­ven Ge­stal­tung ei­ner zu­kunfts­fä­hi­gen Welt;
  • Bil­dung für To­le­ranz und Ak­zep­tanz von Viel­falt (BTV) im Sin­ne der Be­fä­hi­gung zu To­le­ranz und Ak­zep­tanz von so­wie zu dis­kri­mi­nie­rungs­frei­em Um­gang mit Viel­falt in per­so­na­ler, re­li­giö­ser, ge­schlecht­li­cher, kul­tu­rel­ler, eth­ni­scher und so­zia­ler Hin­sicht;
  • Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung (PG) im Sin­ne ei­ner Stär­kung der Per­sön­lich­keit durch die För­de­rung ei­nes so­zi­al kom­pe­ten­ten und ge­sund­heits­be­wuss­ten Um­gangs mit sich selbst und an­de­ren.

b) The­men­spe­zi­fi­sche Leit­per­spek­ti­ven

  • Be­ruf­li­che Ori­en­tie­rung (BO) im Sin­ne ei­ner Un­ter­stüt­zung und Vor­be­rei­tung von trag­fä­hi­gen, be­ga­bungs- und ent­wick­lungs­ge­rech­ten Ent­schei­dun­gen und Wei­chen­stel­lun­gen für kom­men­de Be­rufs­we­ge so­wie für le­bens­lan­ges Ler­nen;
  • Me­di­en­bil­dung (MB) im Sin­ne der Be­fä­hi­gung, Me­di­en sinn­voll aus­zu­wäh­len, das Me­di­en­an­ge­bot kri­tisch zu re­flek­tie­ren, die Me­di­en ver­ant­wort­lich zu nut­zen so­wie die ei­ge­ne me­dia­le Prä­senz selbst­be­stimmt zu ge­stal­ten;
  • Ver­brau­cher­bil­dung (VB) im Sin­ne ei­ner Re­fle­xi­on und Ent­wick­lung ei­nes ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ten Kon­su­men­ten­ver­hal­tens.

Das Plu­ra­lis­mus­ge­bot ver­bie­tet es dem Staat, im Schul­we­sen ein­sei­ti­ge Sicht­wei­sen und Stand­punk­te bei po­li­tisch oder ge­sell­schaft­lich kon­tro­ver­sen Fra­gen zu pro­pa­gie­ren. Als Leit­li­ni­en gel­ten für den Bil­dungs­plan 2016 aus­drück­lich die Grund­sät­ze des Beu­tels­ba­cher Kon­sen­ses (vgl. Wehling, 1977, S. 179 f.):

  1. Über­wäl­ti­gungs­ver­bot. Es ist nicht er­laubt, den Schü­ler – mit wel­chen Mit­teln auch im­mer – im Sin­ne er­wünsch­ter Mei­nun­gen zu über­rum­peln und da­mit an der „Ge­win­nung ei­nes selb­stän­di­gen Ur­teils“ zu hin­dern. Hier ge­nau ver­läuft näm­lich die Gren­ze zwi­schen Po­li­ti­scher Bil­dung und In­dok­tri­na­ti­on. In­dok­tri­na­ti­on aber ist un­ver­ein­bar mit der Rol­le des Leh­rers in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft und der – rund­um ak­zep­tier­ten – Ziel­vor­stel­lung von der Mün­dig­keit des Schü­lers.
  2. Was in Wis­sen­schaft und Po­li­tik kon­tro­vers ist, muss auch im Un­ter­richt kon­tro­vers er­schei­nen. Die­se For­de­rung ist mit der vor­ge­nann­ten aufs Engs­te ver­knüpft, denn wenn un­ter­schied­li­che Stand­punk­te un­ter den Tisch fal­len, Op­tio­nen un­ter­schla­gen wer­den, Al­ter­na­ti­ven un­er­ör­tert blei­ben, ist der Weg zur In­dok­tri­na­ti­on be­schrit­ten. (…)
  3. Der Schü­ler muss in die La­ge ver­setzt wer­den, ei­ne po­li­ti­sche Si­tua­ti­on und sei­ne ei­ge­ne In­ter­es­sen­la­ge zu ana­ly­sie­ren so­wie nach Mit­teln und We­gen zu su­chen, die vor­ge­fun­de­ne po­li­ti­sche La­ge im Sin­ne sei­ner In­ter­es­sen zu be­ein­flus­sen. (…)

Der Po­li­tik­di­dak­ti­ker Wolf­gang San­der (2005, S. 9) prä­zi­siert zu Recht, dass es sich beim Beu­tels­ba­cher Kon­sens ge­nau ge­nom­men „um ei­nen Kon­sens über die Le­gi­ti­mi­tät des Dis­sens’, oder an­ders: über die Not­wen­dig­keit von Per­spek­ti­ven­viel­falt“ han­delt. Ein­fa­cher aus­ge­drückt: Es wird ak­zep­tiert, dass man auch in fun­da­men­ta­len ge­sell­schaft­li­chen und welt­an­schau­li­chen Fra­gen nicht ei­ner Mei­nung sein muss. Schu­le und Un­ter­richt sol­len die­je­ni­gen Or­te sein, wo das Aus­hal­ten sol­cher Per­spek­ti­ven­viel­falt ein­ge­übt wer­den kann und muss – muss des­halb, weil auch in Deutsch­land ver­mehrt For­men des welt­an­schau­lich-re­li­giö­sen Fun­da­men­ta­lis­mus auf­tre­ten, die ge­ra­de die­se Fä­hig­keit zur Per­spek­ti­ven­viel­falt ge­ring­schät­zen und Per­spek­ti­ven­viel­falt selbst ab­leh­nen. Ge­ra­de von die­ser Fä­hig­keit hängt je­doch lang­fris­tig, so ar­gu­men­tiert San­der (2005), das Über­le­ben al­ler Ge­sell­schaf­ten in ei­ner glo­ba­li­sier­ten und ver­netz­ten Welt ab. Per­spek­ti­ven­viel­falt ist den­noch nicht gleich­zu­set­zen mit Wert­neu­tra­li­tät; sie er­for­dert viel­mehr ei­nen kla­ren und aus­drück­li­chen Rück­be­zug auf die in der Ver­fas­sung und im Schul­ge­setz fest­ge­schrie­be­nen Bil­dungs­zie­le.

Bil­dungs­zie­le, Kom­pe­ten­zen, Bil­dungs­stan­dards – die in­te­gra­ti­ve Funk­ti­on des Bil­dungs­plans

Wäh­rend durch Bil­dungs­zie­le al­so be­schrie­ben wird, wel­che all­ge­mei­nen Fä­hig­kei­ten, Kennt­nis­se und Wert­hal­tun­gen bei Schü­le­rin­nen und Schü­lern am En­de der Schul­zeit her­aus­ge­bil­det sein sol­len, be­zeich­nen Kom­pe­ten­zen et­was sehr viel „Hand­fes­te­res“, Kon­kre­te­res. Men­schen sind kom­pe­tent in ei­nem Fach (z. B. Ge­schich­te), ei­nem en­ger ge­fass­ten Ge­gen­stands­be­reich (z. B. Schrei­ben li­te­ra­ri­scher Tex­te) oder für ein be­stimm­tes Hand­lungs­feld (z. B. nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung).

Der Kom­pe­tenz­be­griff hat An­fang der 1970er-Jah­re Ein­gang in die Päd­ago­gik ge­fun­den, um ei­ne Brü­cke zwi­schen tra­di­tio­nel­len Kon­zep­ten der aka­de­mi­schen All­ge­mein­bil­dung und ar­beits­welt- oder be­rufs­be­zo­ge­nen Qua­li­fi­ka­ti­ons­zie­len zu er­mög­li­chen (Klie­me & Har­tig, 2007). Die Ver­fas­se­rin­nen und Ver­fas­ser des ba­den-würt­tem­ber­gi­schen Bil­dungs­plans wa­ren gut be­ra­ten, sich auf ein in Päd­ago­gik, Psy­cho­lo­gie und Di­dak­tik breit ak­zep­tier­tes Kom­pe­tenz­ver­ständ­nis fest­zu­le­gen, das der Päd­ago­gi­sche Psy­cho­lo­ge Franz Ema­nu­el Wei­nert ent­wi­ckelt hat. Ihm zu­fol­ge sind Kom­pe­ten­zen de­fi­niert als

„die bei In­di­vi­du­en ver­füg­ba­ren oder durch sie er­lern­ba­ren ko­gni­ti­ven Fä­hig­kei­ten und Fer­tig­kei­ten, um be­stimm­te Pro­ble­me zu lö­sen, so­wie die da­mit ver­bun­de­nen mo­ti­va­tio­na­len, vo­li­tio­na­len und so­zia­len Be­reit­schaf­ten und Fä­hig­kei­ten, um die Pro­blem­lö­sun­gen in va­ria­blen Si­tua­tio­nen er­folg­reich und ver­ant­wor­tungs­voll nut­zen zu kön­nen“ (Wei­nert, 2001, S. 27 f.).

Wich­ti­ge As­pek­te die­ses Be­griffs­ver­ständ­nis­ses sind, dass Kom­pe­ten­zen

  • im Ver­lauf von Bil­dungs- und Er­zie­hungs­pro­zes­sen er­lernt bzw. er­wor­ben wer­den, was ins­be­son­de­re die För­der­bar­keit von Kom­pe­ten­zen al­ler Schü­le­rin­nen und Schü­ler be­tont;
  • die Be­wäl­ti­gung von un­ter­schied­li­chen Auf­ga­ben bzw. Le­bens­si­tua­tio­nen er­mög­li­chen, d. h. ei­nen Be­zug zum „wirk­li­chen Le­ben“ auf­wei­sen, und da­mit ei­ne fle­xi­ble Ver­bin­dung von Wis­sen und Kön­nen in der Be­wäl­ti­gung von be­kann­ten und neu­en Hand­lungs­an­for­de­run­gen sind;
  • die Fä­hig­keit zur Selbst­re­gu­la­ti­on, d. h. der er­folg­rei­chen Ver­knüp­fung von Den­ken (Ko­gni­ti­on), Wol­len (Mo­ti­va­ti­on) und „An­pa­cken“ (Vo­li­ti­on) be­nö­ti­gen;
  • die Be­reit­schaft und Fä­hig­keit zu so­zi­al-kom­mu­ni­ka­ti­vem, ko­ope­ra­ti­vem und gleich­zei­tig zu selbst­stän­di­gem und selbst­ver­ant­wort­li­chem Ler­nen und Han­deln ein­schlie­ßen und
  • nicht zu­letzt Hal­tun­gen um­fas­sen, die sich in kul­tur­be­zo­ge­nen Tu­gen­den wie kri­tisch-re­flek­tie­ren­dem, aber re­spekt­vol­lem Ver­hal­ten ge­gen­über Mensch, Ge­mein­schaft und Na­tur aus­drü­cken.

Da­bei un­ter­schei­den die Fach­plä­ne des Bil­dungs­plans für je­des Fach zwi­schen in­halts- und pro­zess­be­zo­ge­nen Kom­pe­ten­zen. Stan­dards für in­halts­be­zo­ge­ne Kom­pe­ten­zen le­gen fest, was Schü­le­rin­nen und Schü­ler bis zu ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt (z. B. En­de Klas­se 4, 6, 9, 10 oder 12) kön­nen und wis­sen sol­len. Pro­zess­be­zo­ge­ne Kom­pe­ten­zen kenn­zeich­nen über­grei­fen­de, all­ge­mei­ne, das Fach be­tref­fen­de Kom­pe­ten­zen, die nicht an be­stimm­te In­hal­te ge­bun­den sind und sich im Bil­dungs­pro­zess bis zum En­de des Bil­dungs­gangs her­aus­bil­den. In­so­fern wei­sen pro­zess­be­zo­ge­ne Kom­pe­ten­zen die­je­ni­gen As­pek­te aus, die in ei­nem Fach the­men­über­grei­fend und fort­lau­fend ent­wi­ckelt wer­den. Da­ge­gen be­schrei­ben die Stan­dards für in­halts­be­zo­ge­ne Kom­pe­ten­zen, an wel­chen fach­li­chen The­men und in wel­chen Schrit­ten die­se er­wor­ben wer­den sol­len.

Im Fach Ma­the­ma­tik bei­spiels­wei­se tre­ten ne­ben die tra­di­tio­nel­len In­halts­be­rei­che wie Raum und Form oder Funk­tio­na­le Zu­sam­men­hän­ge nun gleich­be­rech­tigt die auf ma­the­ma­ti­sche Denk- und Pro­duk­ti­ons­pro­zes­se be­zo­ge­nen Kom­pe­ten­zen wie Pro­ble­me lö­sen, Ar­gu­men­tie­ren und Be­wei­sen oder Mo­del­lie­ren. In­halts- und pro­zess­be­zo­ge­ne Kom­pe­ten­zen sind un­trenn­bar mit­ein­an­der ver­bun­den, da­mit spe­zi­fi­sche In­hal­te nicht im Sin­ne „trä­gen Wis­sens“ iso­liert blei­ben, son­dern ver­netzt und über die Schul­zeit hin­weg ku­mu­la­tiv ent­wi­ckelt wer­den kön­nen.

Die­sen Grund­ge­dan­ken des ver­netz­ten und ku­mu­la­ti­ven Kom­pe­ten­z­er­werbs greift der Bil­dungs­plan 2016 kon­se­quent durch ei­ne aus­ge­feil­te Struk­tur von Quer­ver­wei­sen auf. Zu fast al­len Teil­kom­pe­ten­zen in den Fach­plä­nen wird nicht nur auf pro­zess­be­zo­ge­ne Kom­pe­ten­zen (P) und auf un­mit­tel­bar „be­nach­bar­te“ Kom­pe­ten­zen im sel­ben Fach (I) oder in an­de­ren Fä­chern (F) ver­wie­sen, son­dern auch auf die Leit­per­spek­ti­ven (L). Im Bil­dungs­plan der Grund­schu­le gibt es zu­sätz­lich Ver­wei­se auf den Ori­en­tie­rungs­plan (O).

Das Zu­sam­men­spiel von fach­li­chem und über­fach­li­chem Ler­nen in der Schu­le

Zeit­ge­mä­ße Lehr­plä­ne sind da­durch ge­kenn­zeich­net, dass sie so­wohl fach­li­che als auch über­fach­li­che Kom­pe­ten­zen be­rück­sich­ti­gen (vgl. den Schwei­zer Lehr­plan 21, D-EDK, 2014, S. 6). Dem­zu­fol­ge um­fas­sen fach­li­che Kom­pe­ten­zen ein (eher) fach­spe­zi­fi­sches Wis­sen und die da­mit ver­bun­de­nen Fä­hig­kei­ten und Fer­tig­kei­ten. Über­fach­li­che Kom­pe­ten­zen be­zeich­nen (eher) je­nes Wis­sen und Kön­nen, das über die Ein­zel­fä­cher hin­aus auch für Lern­pro­zes­se au­ßer­halb der Schu­le von Be­deu­tung ist. Da­zu zäh­len ver­schie­de­ne me­tho­di­sche, per­so­na­le und so­zia­le Kom­pe­ten­zen. Ein wich­ti­ges Merk­mal über­fach­li­cher Kom­pe­ten­zen ist, dass an ih­rer Ent­wick­lung al­le – oder zu­min­dest meh­re­re – schu­li­sche Fä­cher mit ih­ren spe­zi­fi­schen Fach­in­hal­ten, fach­li­chen Zu­gän­gen und Vor­ge­hens­wei­sen be­tei­ligt sein müs­sen.

Der Bil­dungs­wis­sen­schaft­ler Jür­gen Baum­ert hat theo­re­tisch dar­ge­legt, wel­che An­for­de­run­gen in mo­der­nen, glo­bal-ver­netz­ten Ge­sell­schaf­ten ganz all­ge­mein an Bil­dungs­plä­ne zu stel­len sind. Zwei Fra­ge­ach­sen (Di­men­sio­nen) sei­nes Mo­dells sind da­bei ent­schei­dend: (1) Wel­che grund­le­gend ver­schie­de­nen Zu­gän­ge zum Ver­ständ­nis der Welt und zur Ori­en­tie­rung in der Welt sol­len Kin­der und Ju­gend­li­che in der Schu­le ken­nen ler­nen (Mo­di der Welt­be­geg­nung)? (2) Wel­che kul­tu­rel­len Ba­sis­kom­pe­ten­zen brau­chen Kin­der und Ju­gend­li­che, um sich je­den die­ser Zu­gän­ge über­haupt er­schlie­ßen zu kön­nen (Ba­sa­le Kul­tur­werk­zeu­ge)? Zu den Mo­di der Welt­be­geg­nung zählt Baum­ert (2002) die fol­gen­den vier:

  • ko­gni­ti­v-in­stru­men­tel­le Mo­del­lie­rung der Welt (Ma­the­ma­tik, Na­tur­wis­sen­schaf­ten)
  • äs­the­tisch-ex­pres­si­ve Be­geg­nung und Ge­stal­tung (Spra­che / Li­te­ra­tur, Mu­sik / Ma­le­rei / Bil­den­de Kunst, Phy­si­sche Ex­pres­si­on)
  • nor­ma­ti­v-e­va­lua­ti­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit Wirt­schaft und Ge­sell­schaft (Ge­schich­te, Öko­no­mie, Po­li­ti­k‑/Ge­sell­schafts­wis­sen­schaf­ten, Recht)
  • Pro­ble­me kon­sti­tu­ti­ver Ra­tio­na­li­tät (Re­li­gi­on, Phi­lo­so­phie).

Als ba­sa­le Kul­tur­werk­zeu­ge be­nennt er fol­gen­de pro­zess­be­zo­ge­ne Ba­sis­kom­pe­ten­zen:

  • Be­herr­schung der Ver­kehrs­spra­che
  • ma­the­ma­ti­sche Mo­del­lie­rungs­fä­hig­keit
  • fremd­sprach­li­che Kom­pe­tenz
  • IT-Kom­pe­tenz
  • Selbst­re­gu­la­ti­on des Wis­sens­er­werbs.

Baum­ert hebt da­bei ins­be­son­de­re die Be­deu­tung des Sprach­ler­nens her­vor, wenn er schreibt: „Die Be­herr­schung der Ver­kehrs­spra­che in Wort und Schrift – und zwar auf ei­nem kom­pe­ten­ten Ni­veau – ist not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung ge­sell­schaft­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fä­hig­keit. Ins­be­son­de­re ist die Le­se­kom­pe­tenz Ba­sis je­des selbst­stän­di­gen Wei­ter­ler­nens. Schu­le ist not­wen­di­ger­wei­se ei­ne sprach­li­che Ver­an­stal­tung, und zwar in al­len Fä­chern. Wenn es zen­tra­le Auf­ga­be der Schu­le ist, Lern­fä­hig­keit zu kul­ti­vie­ren, ver­langt dies ei­ne re­fle­xi­ve Be­geg­nung mit den Ge­gen­stän­den der Kul­tur, die sprach­ba­siert und kom­mu­ni­ka­tiv ist. Die Vor­stel­lung, Ma­the­ma­tik oder die so ge­nann­ten Rea­li­en zum Schut­ze der Kin­der und Ju­gend­li­chen aus bil­dungs­fer­nen Fa­mi­li­en sprach­arm un­ter­rich­ten zu kön­nen, re­du­ziert den Bil­dungs­ge­halt die­ser Ge­gen­stän­de im Kern. Le­se­kom­pe­tenz ist das Mus­ter­bei­spiel für ei­ne fä­cher­über­grei­fen­de Schlüs­sel­qua­li­fi­ka­ti­on, für de­ren An­eig­nung in der Pha­se des Schrift­sprach­er­werbs die Haupt­ver­ant­wor­tung zu­nächst beim mut­ter­sprach­li­chen Un­ter­richt liegt, die die­ser mit zu­neh­men­der Schul­be­suchs­dau­er mehr und mehr mit al­len an­de­ren Un­ter­richts­fä­chern teilt. Spä­tes­tens in der Se­kun­dar­stu­fe I ist die Kul­ti­vie­rung des Le­se­ver­ständ­nis­ses Sa­che al­ler Un­ter­richts­fä­cher. Dies be­deu­tet gleich­zei­tig, dass Le­se­ver­ständ­nis Vor­aus­set­zung und Teil sprach­lich-li­te­ra­ri­scher Grund­bil­dung ist, mit die­ser aber selbst­ver­ständ­lich nicht zu­sam­men­fällt“ (Baum­ert, 2002, S. 109 f.).

Auch die Fä­hig­keit zur Selbst­re­gu­la­ti­on nimmt in mo­der­nen Theo­ri­en der Kom­pe­tenz­ent­wick­lung ei­ne im­mer pro­mi­nen­te­re Rol­le ein. Selbst­re­gu­la­ti­on um­schreibt die Fä­hig­keit, die ei­ge­nen Ge­dan­ken, Ge­füh­le und Hand­lun­gen kon­trol­lie­ren und steu­ern zu kön­nen. Sie spielt in al­len drei Pha­sen des Ler­nens – bei der Pla­nung, der Durch­füh­rung und der Be­wer­tung – ei­ne wich­ti­ge Rol­le. Der Selbst­re­gu­la­ti­on von Schü­le­rin­nen und Schü­lern lie­gen u.a. ko­gni­ti­ve Pro­zes­se zu Grun­de, die in ih­rer Ge­samt­heit auch als exe­ku­ti­ve Funk­tio­nen be­zeich­net wer­den. Die För­de­rung der Kom­pe­tenz zur Selbst­re­gu­la­ti­on ist im Bil­dungs­plan 2016 in der Leit­per­spek­ti­ve „Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung“ aus­drück­lich be­rück­sich­tigt.

Bil­dungs­theo­re­tisch be­trach­tet er­mög­li­chen so­mit die im Bil­dungs­plan 2016 vor­ge­nom­me­nen Zu­schnit­te von Fä­chern und die in der Quer­ver­weis­struk­tur an­ge­leg­te Ver­netzt­heit von in­halts- und pro­zess­be­zo­ge­nen, fach­li­chen und über­fach­li­chen Kom­pe­ten­zen den Auf­bau ei­nes Ori­en­tie­rungs­wis­sens, das den An­for­de­run­gen mo­der­ner Ge­sell­schaf­ten ent­spricht.

Die Ba­lan­ce und das Wech­sel­spiel von fach­li­chen und über­fach­li­chen Kom­pe­ten­zen ge­lin­gen nur, wenn die För­de­rung über­fach­li­cher Kom­pe­ten­zen im Fach­un­ter­richt kei­ne Ne­ben­rol­le spielt, son­dern zum in­te­gra­ti­ven Be­stand­teil des täg­li­chen Un­ter­richts wird.

Der Bil­dungs­plan 2016 ist an­ge­legt auf ver­netz­tes und nach­hal­ti­ges Ler­nen ins­be­son­de­re in den Fel­dern De­mo­kra­tie­er­zie­hung, Frie­dens­bil­dung und kul­tu­rel­le Bil­dung. Da­bei sol­len sich schu­li­sches und au­ßer­schu­li­sches Ler­nen ver­bin­den. Das Ver­ständ­nis, das im neu­en Bil­dungs­plan die­sen drei wich­ti­gen Fel­dern zu Grun­de ge­legt wird, kann wie folgt um­ris­sen wer­den:

De­mo­kra­tie­er­zie­hung. Für die Schu­le der Ge­gen­wart ist die Fä­hig­keit zu de­mo­kra­ti­schem Han­deln in mehr­fa­cher Hin­sicht zen­tral. Sie ist kon­sti­tu­tiv für par­ti­zi­pa­tiv ge­stal­te­te, nach­hal­ti­ge Schul­ent­wick­lung und gleich­zei­tig stellt sie ein be­deut­sa­mes Lern­ziel für je­den ein­zel­nen Schü­ler und je­de ein­zel­ne Schü­le­rin dar. Die Re­le­vanz die­ses Hand­lungs­fel­des wird durch die Her­aus­for­de­run­gen von In­k­lu­si­on und der In­te­gra­ti­on von Kin­dern mit Fluch­ter­fah­rung noch­mals er­höht. Die Schu­le soll ein Ge­le­gen­heits­raum für ge­leb­te De­mo­kra­tie sein, ei­ne Kul­tur der Kon­flikt­lö­sung im schu­li­schen All­tag auf­wei­sen und dar­auf aus­ge­rich­tet sein, Lern­pro­zes­se par­ti­zi­pa­tiv zu ge­stal­ten.
Ein­schlä­gig ist in die­sem Zu­sam­men­hang der Be­schluss der Kul­tus­mi­nis­ter­kon­fe­renz zur „Stär­kung der De­mo­kra­tie­er­zie­hung“ (Se­kre­ta­ri­at der Stän­di­gen Kon­fe­renz der Kul­tus­mi­nis­ter der Län­der in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, 2009, S. 2 f.), in dem es heißt: „Er­zie­hung zu De­mo­kra­tie und Men­schen­rech­ten ist ei­ne zen­tra­le Auf­ga­be für Schu­le und Ju­gend­bil­dung – De­mo­kra­tie und de­mo­kra­ti­sches Han­deln kön­nen und müs­sen ge­lernt wer­den. (…) Schon in der Grund­schu­le sol­len Kin­der Par­ti­zi­pa­ti­on ein­üben und an die Grund­prin­zi­pi­en un­se­rer de­mo­kra­ti­schen Staats- und Ge­sell­schafts­ord­nung und die Un­ter­schie­de zu dik­ta­to­ri­schen Herr­schafts­for­men her­an­ge­führt wer­den, zum Bei­spiel ele­men­ta­re Grund­rech­te wie Mei­nungs- und Pres­se­frei­heit, den po­li­ti­schen Plu­ra­lis­mus und freie Wah­len (…).“ Wich­ti­ge As­pek­te für die schu­li­sche Ar­beit sind hier­bei, dass de­mo­kra­ti­sches Ver­ständ­nis über per­sön­li­che Er­fah­rung und das ei­ge­ne Han­deln ent­wi­ckelt wird und dass De­mo­kra­tie­er­zie­hung als Auf­ga­be al­ler Fä­cher ver­stan­den wird.

Frie­dens­bil­dung. Ar­ti­kel 12 der ba­den-würt­tem­ber­gi­schen Lan­des­ver­fas­sung re­gelt, dass die Ju­gend zur „Brü­der­lich­keit al­ler Men­schen und zur Frie­dens­lie­be“ zu er­zie­hen ist. Die­se Auf­ga­be kommt den Schu­len des Lan­des, aber auch der au­ßer­schu­li­schen Ju­gend­bil­dung so­wie der Kin­der- und Ju­gend­ar­beit zu. Da­zu ge­hört die Sen­si­bi­li­sie­rung von Kin­dern und Ju­gend­li­chen für den Schutz der Men­schen­rech­te und die Wah­rung von Frie­den und Si­cher­heit. Da­bei kann Frie­dens­bil­dung nicht nur ei­ne Fra­ge der ge­dank­lich-ar­gu­men­ta­ti­ven Aus­ein­an­der­set­zung mit Un­ter­richts­ge­gen­stän­den sein, son­dern hängt auch von der er­leb­ten Kul­tur der Kon­flikt­lö­sung im schu­li­schen All­tag ab. Pro­gram­me für Streit­schlich­ter und An­ge­bo­te zur Me­dia­ti­on und Be­ra­tung im schu­li­schen Be­reich kön­nen so­wohl die Prä­ven­ti­on von Ge­walt als auch die Ein­übung von fried­li­cher Kon­flikt­lö­sung durch die Ju­gend­li­chen be­för­dern.

Kul­tu­rel­le Bil­dung. Kul­tu­rel­le Bil­dung be­zeich­net den Lern- und Aus­ein­an­der­set­zungs­pro­zess des Men­schen mit sich, sei­ner Um­welt und der Ge­sell­schaft im Me­di­um der Küns­te. Ins­be­son­de­re ist un­ter kul­tu­rel­ler Bil­dung „die All­ge­mein­bil­dung in den Küns­ten und durch die Küns­te“ (Rat für Kul­tu­rel­le Bil­dung, 2014, S. 12) zu ver­ste­hen. „Mit Kul­tur im en­ge­ren Sin­ne wer­den die Küns­te und ih­re Her­vor­brin­gun­gen be­zeich­net: Bil­den­de Kunst, Li­te­ra­tur, die dar­stel­len­den Küns­te (...), Mu­sik, die an­ge­wand­ten Küns­te wie De­sign und Ar­chi­tek­tur so­wie die viel­fäl­ti­gen Kom­bi­na­ti­ons­for­men zwi­schen ih­nen“ (Er­mert, 2009, [In­ter­net­sei­te]).

Kul­tu­rel­le Bil­dung schafft Zu­gän­ge zu Kunst und Kul­tur im Sin­ne von Chan­cen­ge­rech­tig­keit und ge­sell­schaft­li­cher Teil­ha­be. Re­zep­ti­on, Pro­duk­ti­on und Re­fle­xi­on von Kunst und Kul­tur för­dern künst­le­ri­sche Fä­hig­kei­ten und äs­the­ti­sches Ver­ständ­nis. Kul­tu­rel­le Bil­dung ist ein sub­stan­zi­el­ler Be­stand­teil die­ses Bil­dungs­plans und ge­eig­net, ei­nen maß­geb­li­chen Bei­trag zur Schul­kul­tur zu leis­ten, zum Bei­spiel im Rah­men des Schul­cur­ri­cul­ums und in Ko­ope­ra­ti­on mit au­ßer­schu­li­schen Part­nern.

Durch den ho­hen Stel­len­wert, den die Fel­der De­mo­kra­tie­er­zie­hung, Frie­dens­bil­dung und kul­tu­rel­le Bil­dung im Bil­dungs­plan er­hal­ten, wird der Ge­fahr ei­ner Ver­en­gung des schu­li­schen Bil­dungs­ver­ständ­nis­ses auf fach­li­che oder gar nur auf die mess­ba­ren Kom­pe­ten­zen be­geg­net. Schu­li­sche Leis­tun­gen um­fas­sen stets auch As­pek­te jen­seits des Fach­un­ter­richts, wie z. B. (au­ßer­schu­li­sche) so­zia­le, po­li­ti­sche, mu­sisch-künst­le­ri­sche oder sport­li­che Ak­ti­vi­tä­ten.

Ori­en­tie­rung, Be­glei­tung, An­lei­tung: der Bil­dungs­plan als er­fah­rungs­of­fe­nes Sys­tem

Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung im Un­ter­richt­s­all­tag ent­steht nicht durch Bil­dungs­plä­ne, selbst wenn die­se ein noch so kon­kre­tes Ori­en­tie­rungs­ras­ter hin­sicht­lich der er­war­te­ten Kom­pe­ten­zen bie­ten.

Im Un­ter­richts­kon­text ver­bin­det sich Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung ganz all­ge­mein mit dem ge­schärf­ten Blick auf die tat­säch­lich er­reich­ten Lern­er­geb­nis­se.

An die Stel­le ei­ner pri­mär stoffori­en­tier­ten Un­ter­richts­ge­stal­tung („Was muss durch­ge­nom­men wer­den?“) tritt ein ku­mu­la­ti­ver Kom­pe­tenz­auf­bau im je­wei­li­gen Fach („Wie und was müs­sen Schü­le­rin­nen und Schü­ler ler­nen, da­mit sie am En­de ei­ne be­stimm­te Kom­pe­tenz er­wor­ben ha­ben?“).

Da­zu muss die abs­trak­te Vor­stel­lung vom Kom­pe­tenz­auf­bau zu­nächst fach­di­dak­tisch fun­diert und an­schau­lich her­un­ter­ge­bro­chen wer­den.

Die Bil­dungs­plä­ne 2016 sind so auf­ge­baut, dass sie die As­pek­te der Struk­tur ei­nes Kom­pe­tenz­be­reichs (z. B. im Fach Deutsch die Un­ter­schei­dung in die Be­rei­che Tex­te und an­de­re Me­di­en und Sprach­ge­brauch und Sprach­re­fle­xi­on) und der Ent­wick­lung von Kom­pe­ten­zen im Zeit­ver­lauf in den ver­schie­de­nen Stan­dard­stu­fen un­ter­schei­den.

Im ge­mein­sa­men Bil­dungs­plan für die Se­kun­dar­stu­fe I kommt die Gra­du­ie­rung von Kom­pe­ten­zen in den drei Ni­veau­stu­fen G, M und E hin­zu. Die­se Gra­du­ie­rung zwi­schen den Ni­veau­stu­fen er­folgt bei­spiels­wei­se durch die Men­ge der ver­pflich­tend zu be­ar­bei­ten­den In­hal­te, die Durch­drin­gungs­tie­fe oder durch den Grad an Abs­trak­ti­on. In so­ge­nann­ten hand­lungs­lei­ten­den Ver­ben, den Ope­ra­to­ren, die am En­de je­des Fach­plans auf­ge­führt sind, er­fährt die Gra­du­ie­rung der er­war­te­ten Kom­pe­ten­zen ei­ne an­schau­li­che Kon­kre­ti­sie­rung. Auf die­se Wei­se wird ei­nem Kom­pe­tenz­ver­ständ­nis Rech­nung ge­tra­gen, bei dem Struk­tur‑, Ni­veau- und Ent­wick­lungs­as­pekt be­rück­sich­tigt wer­den kön­nen (sie­he Ab­bil­dung 1).

Im Bil­dungs­plan für das Gym­na­si­um wer­den auf der Stan­dard­stu­fe 10, die für die Klas­sen 9 und 10 gilt, die­je­ni­gen Kom­pe­ten­zen ge­kenn­zeich­net, die dem 10. Schul­jahr vor­be­hal­ten sind und über das E-Ni­veau des ge­mein­sa­men Plans der Se­kun­dar­stu­fe I und da­mit über den mitt­le­ren Schul­ab­schluss hin­aus­ge­hen.

Der Bil­dungs­plan der Grund­schu­le ent­hält Denk­an­stö­ße, die da­zu die­nen, Lehr­kräf­ten Hil­fe­stel­lun­gen zu ge­ben, wie die in den Kom­pe­tenz­be­schrei­bun­gen und Teil­kom­pe­ten­zen ge­for­der­ten Fä­hig­kei­ten der Kin­der ge­för­dert wer­den kön­nen. Da die Grund­schu­le stär­ker den Ent­wick­lungs­pro­zess und we­ni­ger die Über­prü­fung der Er­geb­nis­se im Blick hat, wird hier fol­ge­rich­tig auf Ope­ra­to­ren ver­zich­tet. In der Grund­schu­le, so das er­klär­te Ziel des Bil­dungs­plans, soll das Kind mit sei­ner Ent­wick­lung im Mit­tel­punkt ste­hen, die Über­prü­fung von Lern­er­geb­nis­sen sei dem un­ter­zu­ord­nen. Die Grund­schu­le bahnt an; sie ent­wi­ckelt Kom­pe­ten­zen, auf die dann in den wei­te­ren Klas­sen auf­ge­baut wer­den kann.

Ins­ge­samt möch­te der Bil­dungs­plan 2016 auf­grund sei­nes kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten Auf­baus, sei­nes Kon­kre­ti­sie­rungs­grads und durch die Ni­veau­dif­fe­ren­zie­run­gen im ge­mein­sa­men Bil­dungs­plan ei­nen Un­ter­richt un­ter­stüt­zen, der leis­tungs­ori­en­tiert und in­di­vi­dua­li­sie­rend ist, auf un­ter­schied­li­che Lern­vor­aus­set­zun­gen von Schü­le­rin­nen und Schü­lern ein­geht und da­mit ei­ne er­folg­rei­che Lern­ent­wick­lung al­ler be­för­dert.



Ab­bil­dung 1. Der Auf­bau der Bil­dungs­plä­ne
Abbildung 1. Der Aufbau der Bildungspläne


Da­bei be­deu­ten: BNE: Bil­dung für nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung; BTV: Bil­dung für To­le­ranz und Ak­zep­tanz von Viel­falt; PG: Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung; BO: Be­ruf­li­che Ori­en­tie­rung; MB: Me­di­en­bil­dung; VB: Ver­brau­cher­bil­dung; Kl.: Klas­se; pbK: pro­zess­be­zo­ge­ne Kom­pe­ten­zen; ibK: Stan­dards für in­halts­be­zo­ge­ne Kom­pe­ten­zen.

Die Ge­samt­an­la­ge des neu­en ba­den-würt­tem­ber­gi­schen Bil­dungs­plans ist bei sei­ner Ein­füh­rung deutsch­land­weit ein­zig­ar­tig. Der Ent­wick­lungs­pro­zess er­folg­te mit ho­her Trans­pa­renz und viel­fäl­ti­gen Be­tei­li­gungs­mög­lich­kei­ten. Zu die­sen Maß­nah­men zähl­ten sys­te­ma­ti­sche Ex­per­ten­be­fra­gun­gen und Er­pro­bun­gen der Bil­dungs­plä­ne in al­len Schul­ar­ten. Ein Bei­rat mit Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­tern aus Ge­sell­schaft, Wirt­schaft, Wis­sen­schaft, Re­li­gi­on und Po­li­tik hat den ge­sam­ten Pro­zess kon­struk­ti­v-kri­tisch be­glei­tet. Des Wei­te­ren hat das Kul­tus­mi­nis­te­ri­um früh­zei­tig ein Bün­del an Un­ter­stüt­zungs­maß­nah­men be­reit­ge­stellt, um die neu­en Bil­dungs­plä­ne an den Schu­len ein­zu­füh­ren.

Ein wich­ti­ger Be­stand­teil des Kon­zepts ist es, den Schu­len ne­ben der Be­glei­tung durch Fach­be­ra­te­rin­nen und Fach­be­ra­ter so­wie Fort­bil­dun­gen auch Bei­spiel­cur­ri­cu­la, Kom­pe­tenz­ras­ter, Lern­we­ge­lis­ten und ex­em­pla­ri­sche Lern­ma­te­ria­li­en an­zu­bie­ten, um da­durch die be­ab­sich­tig­ten Ent­wick­lungs­pro­zes­se im Un­ter­richt zu un­ter­stüt­zen. Um den Leh­re­rin­nen und Leh­rern ei­nen schnel­len Zu­griff auf die­se und wei­te­re Um­set­zungs­hil­fen zu er­mög­li­chen, wer­den die­se ge­mein­sam mit den neu­en Bil­dungs­plä­nen auf ei­ner In­ter­net­platt­form ver­öf­fent­licht.

Der neue Bil­dungs­plan für die ba­den-würt­tem­ber­gi­schen Schu­len lädt zu Dis­kus­si­on und Dis­kurs ein und ist in­so­fern ge­samt­ge­sell­schaft­lich ak­ti­vie­rend. Nichts braucht ein Bil­dungs­sys­tem in Zei­ten ge­sell­schaft­li­cher Her­aus­for­de­run­gen und ra­san­ten so­zia­len Wan­dels mehr als ei­nen Be­zugs­rah­men, der ge­sell­schaft­li­cher Träg­heit ent­ge­gen­tritt und doch gleich­zei­tig ein dif­fe­ren­zier­tes An­ge­bot für Ori­en­tie­rungs­wis­sen und Wer­te­ver­ge­wis­se­rung macht.

Zi­tier­te Li­te­ra­tur

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