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1. Leitgedanken zum Kompetenzerwerb

1.1 Bildungswert des Faches Latein

„Wie eine Pinie“: So beschreibt ein Augenzeuge, der achtzehnjährige Plinius, die Eruptionswolke beim Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. Aufgrund seiner genauen Naturbeobachtung ist Plinius zum Namensgeber dieser Art von Vulkanausbrüchen geworden. Mit gleicher Anschaulichkeit schildert er, wie sich sein Onkel, ein berühmter Universalgelehrter, in dieser Extremsituation verhält: Als Flottenkommandant begibt er sich durch eine spontane Hilfsaktion für seine Mitbürger in Lebensgefahr und zeigt noch im Sterben philosophische Gelassenheit.

Aktualität des Faches

Bis in unsere Zeit ist Plinius‘ einzigartige Beschreibung in Romanen, Filmen und Werken der bildenden Kunst immer wieder rezipiert worden. Zusammen mit den archäologischen Zeugnissen aus den vom Vesuv verschütteten Städten gibt der literarische Text einen faszinierenden Einblick in das Leben der Römer.

Im Lateinunterricht beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler von Anfang an mit lateinischen Texten, die sie zum Nachdenken herausfordern und emotional ansprechen. Sie werden angeregt, sich mit der Lebens- und Gedankenwelt der Römer auseinanderzusetzen. Infolge vielfältiger literarischer Erfahrungen gewinnen sie so ein breites Orientierungswissen. Dabei werden ihnen auch Kontinuität und Diskontinuität in der Auffassung von menschlichem Denken und Handeln bewusst. Durch die gewonnenen Erkenntnisse erlangen sie ein vertieftes Verständnis für ihr aktuelles Lebensumfeld und können auf dieser Grundlage ihr Handeln reflektiert und nachhaltig gestalten.

Bildung durch Sprache

Bei der Auseinandersetzung mit lateinischen Texten erfahren die Schülerinnen und Schüler, dass inhaltliche Aussagen eng mit ihrer sprachlichen Gestaltung verknüpft sind und in verschiedenen Sprachen unterschiedlich ausgedrückt werden. Durch die Arbeit mit lateinischen Texten schulen sie ihr Sprachbewusstsein, erweitern ihre Ausdrucksmöglichkeiten im Deutschen und lernen, bewusst mit der eigenen Sprache umzugehen. Reflektierende Sprachbetrachtung ermöglicht ihnen, unterschiedliche Funktionsweisen von Sprache als Mittel menschlicher Kommunikation zu erkennen. Gleichzeitig erfahren sie, dass die jeweilige Lebenswirklichkeit Sprache prägt und verschiedene Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks die Wirklichkeit unterschiedlich widerspiegeln.

Zudem entdecken sie die Verwandtschaft unterschiedlicher Sprachen, indem sie das Weiterwirken des Lateinischen als Basissprache Europas – besonders im Englischen und in den romanischen Sprachen – beobachten und die erworbenen Kenntnisse in ihren Lernprozess integrieren. Damit leistet das Fach Latein einen grundlegenden Beitrag zu der für das Gymnasium charakteristischen Mehrsprachigkeit.

Bildung durch Literatur

Nach dem Abschluss der Spracherwerbsphase beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit literarischen Texten vielfältiger Inhalte, Textsorten und Gattungen aus unterschiedlichen Epochen. Ihnen begegnen grundlegende philosophische Standpunkte, Modelle des Weltverständnisses, unterschiedliche Wertvorstellungen sowie menschliche Verhaltensweisen in wesentlichen Lebenssituationen. Sie erkennen das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft und ermessen die Bedeutung politischen Handelns für ein funktionierendes Gemeinwesen.

Persönlichkeitsentwicklung

Die Beschäftigung mit den im Lateinunterricht behandelten Texten leistet einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen und befähigt sie zur Empathie. Sie setzen sich in historischer Distanz mit ihnen zunächst fremden Vorstellungen und Kulturen auseinander, stellen eigene Welt- und Wertvorstellungen infrage und entwickeln Verständnis für und Toleranz gegenüber anderen Lebensformen und -entwürfen. 

Beitrag des Faches zu den Leitperspektiven

In welcher Weise das Fach Latein einen Beitrag zu den Leitperspektiven leistet, wird im Folgenden dargestellt:

  • Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
    Die Beschäftigung mit lateinischen Texten und weiteren Zeugnissen der antiken Kultur bietet vielfache Anknüpfungspunkte zur Umsetzung der Aspekte Werte und Normen in Entscheidungssituationen, Teilhabe, Mitwirkung, Mitbestimmung, Demokratiefähigkeit und Friedensbildung.
  • Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV)
    Beim Kompetenzerwerb spielen in der Auseinandersetzung mit den Inhalten lateinischer Texte besonders die Aspekte personale und gesellschaftliche Vielfalt, wertorientiertes Handeln, Toleranz und Antidiskriminierung eine herausragende Rolle. Die Beschäftigung mit der Frage nach dem Umgang Roms mit fremden Völkern bietet Möglichkeiten zur Umsetzung der Gesichtspunkte Konfliktbewältigung und Interessenausgleich und ermöglicht die Diskussion von Formen interkulturellen und interreligiösen Dialogs.
  • Prävention und Gesundheitsförderung (PG)
    Um eine Fremdsprache erfolgreich zu erlernen und erworbene Kenntnisse zielgerichtet zu vertiefen, ist es entscheidend, Lernstrategien und Arbeitsmethoden bewusst einsetzen zu können. Diese werden im Lateinunterricht kontinuierlich vermittelt und eingeübt. Im Sinne der Leitperspektive Prävention und Gesundheitsförderung (PG) unterstützt der Lateinunterricht junge Menschen im bewussten Umgang mit den eigenen Ressourcen. Die Schülerinnen und Schüler erleben sich dadurch in ihrem Lernen und Handeln als eigenständig und selbstwirksam.
  • Berufliche Orientierung (BO)
    Die kontinuierliche Erweiterung von Kompetenzen auf dem Feld von Analyse und Vernetzung sowie die Auseinandersetzung vor allem mit Schriftzeugnissen bieten den Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten, ihre Eignung für bestimmte Berufsfelder im Sinne der Einschätzung und Überprüfung eigener Fähigkeiten und Potenziale festzustellen.
  • Medienbildung (MB)
    Im Lateinunterricht beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Medien und lernen dabei die Bedeutung sowohl traditioneller als auch digitaler Medien kennen. Besonders verwiesen wird auf die Aspekte Medienanalyse, Information und Wissen sowie Produktion und Präsentation.
  • Verbraucherbildung (VB)
    In den im Lateinunterricht behandelten Texten, in denen Persönlichkeiten aus Antike und Mittelalter – teils beispielhaft – im Mittelpunkt stehen, bieten sich Ansatzmöglichkeiten für die Umsetzung der Leitperspektive besonders unter den Gesichtspunkten Chancen und Risiken der Lebensführung, Bedürfnisse und Wünsche sowie Medien als Einflussfaktoren.

1.2 Kompetenzen

Reflektierende Sprachbetrachtung

Die Schülerinnen und Schüler können überschaubare Texte in ihrer sprachlichen Struktur zunehmend präzise analysieren. Dabei nutzen und erweitern sie die im Deutschunterricht erworbenen Grammatikkenntnisse. Ihre Sprachkompetenz wird gefördert, indem sie ihr Textverständnis durch eine Übersetzung ins Deutsche dokumentieren – ein Spezifikum des Lateinunterrichts. Dies stärkt insbesondere ihre Ausdrucksfähigkeit in der deutschen Sprache.

Ihr Bewusstsein für die Konstituenten und die Struktur einer Sprache wird vertieft, indem sie Ausdrucksmittel des Lateinischen mit denen des Deutschen und ihnen bekannter Fremdsprachen vergleichen. Dadurch erhalten sie einen Einblick in die Funktionsweise verschiedener Sprachen.

Text- und Literaturkompetenz

Maßgebliches Ziel des Lateinunterrichts ist es, zunehmend anspruchsvolle Texte zu entschlüsseln. Die Schülerinnen und Schüler erwerben sukzessive die notwendigen Kompetenzen, um mit komplexen Texten auch in Studium und Beruf umzugehen. Grundlegend für die Textkompetenz sind die intensive Beschäftigung mit Wortschatz, Satz- und Formenlehre der lateinischen Sprache und die vielfältige Auseinandersetzung mit der antiken Literatur und Kultur. Die verschiedenen Kompetenzen in diesen Arbeitsbereichen werden fortlaufend erweitert und beeinflussen sich dabei wechselseitig.

Im Lektüreunterricht erweitern die Schülerinnen und Schüler ihr Textverständnis, indem sie untersuchen, wie der Autor mit sprachlichen und darstellerischen Mitteln seine Aussage gestaltet. Sie erkennen, dass die erlernten Sprachstrukturen für das Verständnis der Originallektüre grundlegend sind. Darüber hinaus ordnen sie die Texte aufgrund ihrer Kenntnisse in ihr kulturell-historisches Umfeld ein und vergleichen sie mit unterschiedlichen Rezeptionsdokumenten. Sie werden sich des kognitiven und affektiven Gewinns ihrer eigenen Interpretationsarbeit bewusst und lernen, mit Literatur reflektiert und kreativ umzugehen.

Interkulturelle Kompetenz

Durch die Auseinandersetzung mit Texten der Weltliteratur vertiefen die Schülerinnen und Schüler ihr Verständnis für den Kulturkreis, in dem sie leben. Dazu tragen ebenso die im Arbeitsbereich 5 (Antike Kultur) beschriebenen Inhalte bei, die an außerschulischen Lernorten oder bei Exkursionen erworben und vertieft werden. Die Schülerinnen und Schüler lernen vielfältige Aspekte der antiken Kultur kennen und erweitern so ihre interkulturelle Kompetenz um eine historische Perspektive.

Die gelesenen Texte werfen grundlegende Fragen des Weltverständnisses auf und regen dazu an, sich mit fremden Gedanken intensiv auseinanderzusetzen und andere Perspektiven einzunehmen. So leistet der lateinische Lektüreunterricht einen wesentlichen Beitrag zur geistigen Orientierung und Persönlichkeitsbildung der Schülerinnen und Schüler. In der Auseinandersetzung mit zeitlich fernem Gedankengut, das in fruchtbarem Spannungsverhältnis zur Gegenwart steht, entwickeln sie gleichermaßen Offenheit und Kritikfähigkeit – wichtige Voraussetzungen für eine Haltung der Toleranz.

Methodenkompetenz

Integrativer Bestandteil des Lateinunterrichts ist die Entwicklung und Stärkung der Methodenkompetenz. Die Schülerinnen und Schüler lernen grundlegende Methoden kennen, sich eine Sprache anzueignen, diese zunehmend selbstständig und zielorientiert anzuwenden sowie beim Erwerb weiterer Fremdsprachen zu nutzen.

Ausgehend von den im Text aufgeworfenen Problemen lernen sie, Hilfsmittel einzusetzen, sich Informationen zu beschaffen und die Quellen kritisch zu bewerten. Sie können Arbeits- und Rechercheergebnisse angemessen präsentieren. Sowohl bei der Präsentation als auch bei der Arbeit mit Texten, beim Lernen und Üben werden digitale Medien im Lateinunterricht angemessen eingesetzt.

Personal- und Sozialkompetenz

Weitere personale und soziale Kompetenzen werden im Lateinunterricht gefördert, indem vielfältige Arbeits- und Sozialformen zum Einsatz kommen. So werden beispielsweise bei der Überarbeitung der eigenen Übersetzung die Fähigkeit zur Selbstkritik, bei der Partner- und Gruppenarbeit Kommunikations- und Teamfähigkeit weiterentwickelt.

Kompetenzen in Latein (© Landesinstitut für Schulentwicklung)
Abbildung 1: Kompetenzen in Latein (Kommission)

1.3 Didaktische Hinweise

Spracherwerb

Neue sprachliche Phänomene in den Arbeitsbereichen Wortschatz, Satz- und Formenlehre sollen ausgehend vom jeweiligen Text vorwiegend induktiv erarbeitet werden. Konjugationen und Deklinationen werden in maßvoller Weise horizontal eingeführt. Die Schülerinnen und Schüler sollen, wo immer das möglich ist, angeregt werden, an bereits erworbene Kompetenzen aus der Grundschule und den darauf aufbauenden Klassenstufen des Gymnasiums anzuknüpfen. Das Erarbeitete soll für die Schülerinnen und Schüler unter Einbeziehung verschiedener, auch digitaler Medien anschaulich gesichert werden.

Intelligentes Üben ist der Bestandteil des Unterrichts, dem für den Kompetenzzuwachs höchste Bedeutung zukommt. Vielfältige Übungsformen von unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad sollen verschiedenen Lerntypen gerecht werden und tragen dazu bei, dass die Schülerinnen und Schüler erkennen, welche Formen der Einübung von Phänomenen der lateinischen Sprache für sie persönlich besonders geeignet sind. Neues wird an Beispielen eingeübt und kann dann auf vergleichbare sprachliche Erscheinungen angewandt werden; beispielsweise kann das Erkennen von Formen durch Bezugnahme auf ein gelerntes Paradigma geübt werden.

Zur Beschreibung sprachlicher Phänomene reicht ein begrenztes terminologisches Repertoire aus, über das die Schülerinnen und Schüler sicher verfügen sollen.

Übersetzen

Die Übersetzung lateinischer Texte ins Deutsche stellt einen komplexen Vorgang dar und erfordert deshalb eine besonders gründliche Reflexion über das methodische Vorgehen: Lehrerinnen und Lehrer müssen für die sorgfältige Vorerschließung des Textes, die notwendigen Schritte der sprachlichen Analyse und schließlich für eine sachgerechte, kontextadäquate und zielsprachenorientierte Wiedergabe des Textes im Deutschen sorgen. Ihre Aufgabe ist es, den Schülerinnen und Schülern die dazu notwendigen Fertigkeiten so zu vermitteln, dass eine zunehmend selbstständige Übersetzungsarbeit möglich wird. Im Laufe des Lernprozesses machen die Schülerinnen und Schüler die Erfahrung, dass sie in steigendem Maße selbstständig Texte erschließen und verstehen können. Dazu sollen die Texte gegebenenfalls mit Hilfen versehen werden, die unterschiedlichen Schwierigkeiten begegnen und so auf die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler reagieren. Über deren Verwendung entscheiden sie selbstständig.

Beginn der Originallektüre

Der Übergang zur Originallektüre soll bei Latein als erster Fremdsprache im Laufe von Klasse 8, bei Latein als zweiter Fremdsprache im ersten Halbjahr von Klasse 9 erfolgen. Bei Latein als dritter Fremdsprache sollen im Verlauf der Klasse 10 Originaltexte gelesen werden, auch wenn einzelne sprachliche Erscheinungen erst in der Kursstufe eingeführt werden können.

Arbeits- und Sozialformen

Im Lateinunterricht kommen verschiedene Arbeits- und Sozialformen zum Einsatz. Dadurch werden verschiedene Lerntypen berücksichtigt, die Aufmerksamkeit der Lernenden gefördert und es wird ihnen ermöglicht, für sie persönlich angemessene Entscheidungen für die Gestaltung ihrer Arbeit zu treffen und zu erproben.

1.4 Basisfach und Leistungsfach in der Oberstufe

In der gymnasialen Kursstufe können die Schülerinnen und Schüler das Fach Latein als Basisfach oder als Leistungsfach belegen. Basisfach und Leistungsfach unterscheiden sich grundsätzlich in Bezug auf den Komplexitäts- und Abstraktionsgrad der Themenstellungen sowie die Breite, Tiefe und Differenziertheit der Aufgabenbearbeitung.


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