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1. Leitgedanken zum Kompetenzerwerb

1.1 Bildungswert des Faches Evangelische Religionslehre

Aufgaben und Ziele

Der Evangelische Religionsunterricht hilft die religiöse Dimension des Lebens zu erschließen. Er eröffnet einen spezifischen Modus der Weltbegegnung, der als integraler und unverzichtbarer Beitrag zum allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule zu verstehen ist. Soziales, politisches und kulturelles Leben in Deutschland, Europa und der Welt lässt sich ohne Kenntnis seiner religiösen Wurzeln nicht angemessen verstehen. Angesichts der Globalisierung und der multikulturellen Lebenszusammenhänge wird religiöse Bildung für die Suche der Kinder und Jugendlichen nach Identität und Orientierung immer wichtiger.
Der Evangelische Religionsunterricht richtet sich an Schülerinnen und Schüler evangelischer Konfession und ist darüber hinaus offen für alle Schülerinnen und Schüler mit und ohne Religionszugehörigkeit. Grundlage des Unterrichts bilden die biblisch bezeugte Geschichte Gottes mit den Menschen und ihre Deutung in den reformatorischen Bekenntnissen der Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg.

Der Evangelische Religionsunterricht bringt den christlichen Glauben und seine Traditionen ins Gespräch und unterstützt die Heranwachsenden dabei, den Glauben als Möglichkeit zu entdecken, die Wirklichkeit zu deuten und ihr Leben zu gestalten. Der Evangelische Religionsunterricht bietet Kindern und Jugendlichen Unterstützung und Begleitung bei ihrer Suche nach Identität und Lebenssinn. Die Schülerinnen und Schüler erwerben so Kompetenzen religiöser Bildung. Der Glaube selbst entzieht sich einer Überprüfung. Er kann deshalb zwar Gegenstand des Unterrichts, darf aber nicht Maßstab für die Leistungsbewertung oder Leistungsbeurteilung sein.

Der Evangelische Religionsunterricht

  • unterstützt die Entwicklung religiöser Sprach- und Gestaltungsfähigkeit,
  • bietet altersgemäße Zugänge zur biblisch-christlichen Tradition und befähigt die Kinder und Jugendlichen zum Verständnis biblischer Texte,
  • thematisiert die Wahrheitsfrage und enthält sich angesichts der Begrenztheit menschlicher Erkenntnis letzter Urteile über Menschen,
  • fördert die Bereitschaft und die Fähigkeit, andere Auffassungen zu verstehen, Einstellungen zu erfragen und miteinander ins Gespräch zu bringen,
  • stärkt die ästhetische Kompetenz, Wirklichkeit sensibel wahrzunehmen und selbst kreativ tätig zu werden (zum Beispiel in den Bereichen Musik, Bildende Kunst, Literatur, Spiel, Tanz, Film, digitale Medien),
  • fördert die Sprach‑, Toleranz- und Dialogfähigkeit der Kinder und Jugendlichen und leistet dadurch einen Beitrag zur Verständigung in der pluralen Gesellschaft. „Ein konstruktiver Umgang mit Pluralität kann weder in einer Gleichgültigkeit gegenüber allen Unterschieden bestehen noch in einem Rückzug von der Pluralität dadurch, dass nur noch die eigene Wahrheit gesehen wird“ (Religiöse Orientierung gewinnen, EKD 2014, S. 60),
  • nimmt Kinder und Jugendliche als Mitgestalterinnen und Mitgestalter ihrer Lebenswelt ernst und stärkt die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft,
  • beteiligt sich an der Gestaltung der Schule als Lebens- und Erfahrungsraum, insbesondere durch die Mitgestaltung von Festen, Feiern und Gottesdiensten,
  • beteiligt sich an der Öffnung zum Gemeinwesen, zu Kirchengemeinden, diakonischen Einrichtungen und anderen außerschulischen Partnern,
  • hat eine seelsorgliche Dimension und wird durch die Schulseelsorge ergänzt,
  • trägt zu einer profilierten Schulentwicklung bei.

Der Evangelische Religionsunterricht ermöglicht Kindern und Jugendlichen, sich selbst und andere als Geschöpfe Gottes mit individuellen Stärken und Schwächen wahrzunehmen. Er bestärkt sie, im Sinne der Inklusion sich und andere anzunehmen und im Blick auf gemeinsame Aufgaben Verantwortung für sich und die Gemeinschaft zu übernehmen.

Die fachliche, didaktische und personale Kompetenz der Lehrperson sind wichtige Faktoren für den Evangelischen Religionsunterricht.

Der Religionsunterricht ist offen für die fachübergreifende und fächerverbindende Vernetzung von Fragestellungen und Methoden sowie Kooperationen mit dem Katholischen Religionsunterricht und anderen Fächern. Darüber hinaus nimmt der Religionsunterricht als pluralitätsfähiges Fach, wo immer sich Möglichkeiten eröffnen, Chancen interreligiösen Lernens wahr.

Rechtliche Grundlagen des Evangelischen Religionsunterrichts

Der Evangelische und damit konfessionell verantwortete und geprägte Religionsunterricht ist nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und nach Art. 18 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg ordentliches Lehrfach, das von Staat und Kirche gemeinsam verantwortet wird. Er wird erteilt „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen“ der Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg, wie sie enthalten sind und erläutert werden

  • in den Grundordnungen der Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg,
  • in der „Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zu verfassungsrechtlichen Fragen des Religionsunterrichts vom 7. Juli 1971“,
  • in der „Entschließung der Württembergischen Evangelischen Landessynode zu Grundfragen des Religionsunterrichts vom 15. Juli 1976“,
  • in den Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland „Identität und Verständigung“ (1994), „Maße des Menschlichen“ (2003) sowie „Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule“ (2014).

Eine regelhafte Form des konfessionellen Religionsunterrichts ist der konfessionell-kooperative Religionsunterricht. Hierzu haben die Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg gemeinsam mit der Erzdiözese Freiburg und der Diözese Rottenburg-Stuttgart seit 2005 verbindliche Rahmenvereinbarungen geschlossen.

Beitrag des Faches zu den Leitperspektiven

Die Einleitung des Bildungsplans beschreibt fächer- und jahrgangsübergreifende Bildungsziele in Form von Leitperspektiven. Diese sind im Bildungsplan für Evangelische Religionslehre sowohl an die prozess- als auch die inhaltsbezogenen Kompetenzen anschlussfähig. Sie wurden in die Kompetenzen eingearbeitet, sind jedoch nicht in die Verweise aufgenommen. In welcher Weise das Fach Evangelische Religionslehre einen Beitrag zu den Leitperspektiven leistet, wird im Folgenden dargestellt:

  • Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
    Nach biblisch-christlicher Tradition ist der Mensch zur Übernahme von Verantwortung in der Einen Welt berufen. Dazu gehören die Überwindung ungerechter Verhältnisse, die Erziehung zum Frieden, der ungehinderte Zugang zu Bildung, die gerechte Teilhabe an den Gütern der Erde und der verantwortliche Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen.
  • Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV)
    Kennzeichen der Schöpfung ist Vielfalt. Maßstab für christlichen Umgang mit Vielfalt sind die Liebe und das Wohl des Nächsten, die in der bedingungslosen Annahme des Menschen durch Gott gründen. Deshalb befähigt Evangelischer Religionsunterricht dazu „Toleranz, Respekt und Anerkennung für den anderen in der eigenen religiösen Tradition zu identifizieren und auf diese Weise als Orientierungsressource verfügbar zu machen“ (Religiöse Orientierung gewinnen, S. 67). Toleranz und Anerkennung stehen nicht im Widerspruch zur Wahrheitsfrage. Angesichts der Vorläufigkeit menschlicher Erkenntnis enthält sich der Religionsunterricht letzter Urteile. Die Bereitschaft, andere Menschen wahrzunehmen, mit ihnen in Dialog zu treten und ihnen offen und respektvoll zu begegnen, ist damit unverzichtbares Merkmal Evangelischen Religionsunterrichts.
  • Prävention und Gesundheitsförderung (PG)
    Der Evangelische Religionsunterricht nimmt den Menschen in seinen körperlichen, seelischen, biografischen und sozialen Bezügen in den Blick. Er stärkt die Persönlichkeit und befähigt zu Teilhabe und Mündigkeit. Dazu gehört die Fähigkeit, über sich selbst, seine Stärken und Schwächen nachzudenken und darüber mit anderen ins Gespräch zu kommen.
  • Berufliche Orientierung (BO)
    Die verantwortliche Gestaltung des eigenen Lebens und der Welt ist dem Menschen als Auftrag von Gott gegeben. Der Evangelische Religionsunterricht eröffnet einen Raum, in dem die individuellen Interessen und Begabungen von Kindern und Jugendlichen gefördert werden. Die Schülerinnen und Schüler erwerben (inter‑)religiöse und (inter‑)kulturelle Kompetenzen, die Grundlagen für eine spätere berufliche Qualifikation und die Übernahme sozialer Verantwortung bilden. In dieser Weise unterstützt und ermutigt der Evangelische Religionsunterricht Jugendliche darin, sich im Rahmen der gesellschaftlich gegebenen Möglichkeiten beruflich zu orientieren.
  • Medienbildung (MB)
    Religion wird personal und medial vermittelt. Analoge und digitale Medien spielen in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen eine wichtige Rolle. Der Evangelische Religionsunterricht unterstützt gemäß der „Kundgebung der 11. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft“ (2014) einen verantwortungsvollen Umgang mit Medien.
  • Verbraucherbildung (VB)
    Der Evangelische Religionsunterricht thematisiert einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen in der Einen Welt. Den Schülerinnen und Schülern wird der globale Horizont ihres Konsumentenverhaltens eröffnet. Sie werden für einen verantwortungsbewussten Lebensstil sensibilisiert.

1.2 Kompetenzen

Der Evangelische Religionsunterricht fördert den Erwerb und die Vertiefung religiöser Bildung. Er zielt auf überprüfbare Kompetenzen, wobei Glaube, Einstellungen und Haltungen der Schülerinnen und Schüler sich jeder Überprüfbarkeit entziehen.

Die Kompetenzen religiöser Bildung beinhalten die Fähigkeit, die Vielgestaltigkeit von Wirklichkeit wahrzunehmen und theologisch zu reflektieren, christliche Deutungen mit anderen zu vergleichen, die Wahrheitsfrage zu stellen und eine eigene Position zu vertreten sowie sich in Freiheit auf religiöse Ausdrucks- und Sprachformen (zum Beispiel Symbole und Rituale) einzulassen und sie mitzugestalten.

Im Sinne der Lebensbegleitung und Identitätsentwicklung sind in besonderer Weise personale und soziale Kompetenzen in den Blick zu nehmen.

Prozessbezogene Kompetenzen

Die fünf prozessbezogenen Kompetenzen sind:

  1. Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit
  2. Deutungsfähigkeit
  3. Urteilsfähigkeit
  4. Dialogfähigkeit
  5. Gestaltungsfähigkeit

Die prozessbezogenen Kompetenzen sind in Anlehnung an die „Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Evangelische Religionslehre“ (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 01.12.1989 i. d. F. vom 16.11.2006, S.8–9) formuliert und werden langfristig erworben. Weitere Referenztexte sind die Veröffentlichungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): „Kompetenzen und Standards für den Evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I. Ein Orientierungsrahmen“ (EKD-Texte 111, Dezember 2010) sowie „Kerncurriculum für das Fach Evangelische Religionslehre in der gymnasialen Oberstufe. Themen und Inhalte für die Entwicklung von Kompetenzen religiöser Bildung“ (EKD-Texte 109, April 2010).

Inhaltsbezogene Kompetenzen

Die Standards inhaltsbezogener Kompetenzen gliedern sich in allen Standard- beziehungsweise Klassenstufen und allen Schularten weitgehend übereinstimmend mit dem Fach Katholische Religionslehre in sieben Bereiche. Zusammen mit den prozessbezogenen bilden die inhaltsbezogenen Kompetenzen die Grundlage für die Planung von Unterricht. Die sieben inhaltsbezogenen Bereiche bezeichnen keine thematischen Unterrichtseinheiten und bilden keine Unterrichtssequenzen ab. Sie sind inhaltlich vernetzt. Dies wird durch die inhaltsbezogenen Verweise verdeutlicht (I). Die Verbindungen zu den prozessbezogenen Kompetenzen werden ebenso durch ein Icon verdeutlicht (P). Auf Anschlussmöglichkeiten zu anderen Fächern verweist das Icon (F). Die sieben Bereiche lauten für die Jahrgangsstufen 1–10:

  1. Mensch
  2. Welt und Verantwortung
  3. Bibel
  4. Gott
  5. Jesus Christus
  6. Kirche und Kirchen
  7. Religionen und Weltanschauungen

In der Kursstufe des Gymnasiums werden die inhaltsbezogenen Kompetenzen des Bereichs „Bibel“ den anderen sechs Bereichen zugeordnet. Kompetenzen, die auf eine Auseinandersetzung mit dem Wirklichkeitsverständnis zielen, sind in allen sechs Bereichen zu finden.

Die bei der Formulierung der Kompetenzen verwendeten Operatoren sind als Liste beigefügt. Sie sind als handlungsleitende Verben zu verstehen und signalisieren, welche Tätigkeiten beim Erwerb der Kompetenzen erwartet werden. Die Operatoren sind in Übereinstimmung mit den „Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Evangelische Religionslehre“ (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 01.12.1989 i. d. F. vom 16.11.2006, S.12–15) formuliert.

Im Anschluss an jeden Bereich findet sich eine Zusammenstellung möglicher Bibelstellen und Fachbegriffe. Diese sind weder verbindlich noch exklusiv zu verstehen, sondern sollen dazu dienen, die didaktische Umsetzung zu unterstützen.

Eingefügt in die inhaltsbezogenen Kompetenzen werden Möglichkeiten der Konkretisierung in Klammern benannt. Werden diese durch die Formulierung „zum Beispiel“ eingeleitet, bilden sie eine unverbindliche Empfehlung für die Gestaltung des Unterrichts. Die Verwendung anderer Beispiele ist ebenso möglich. Fehlt die Formulierung „zum Beispiel“ in den Klammern, sind alle genannten Inhalte verbindlich.

1.3 Didaktische Hinweise

Der Evangelische Religionsunterricht in der Sekundarstufe I

In der Sekundarstufe I können Jugendliche prinzipiell alle Bildungsabschlüsse beziehungsweise ‑anschlüsse anstreben und erlangen. Deshalb begegnet dem Evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I in besonderer Weise die Vielfalt von Lernvoraussetzungen, ganz gleich, an welcher Schulart er stattfindet. Zu der auch in anderen Unterrichtsfächern anzutreffenden Vielfalt von Lernvoraussetzungen kann im Evangelischen Religionsunterricht zusätzlich die Vielfalt von Schülerinnen und Schülern aus unterschiedlichen Klassen und Jahrgangsstufen treten sowie unterschiedlichste Formen der religiös-weltanschaulichen Sozialisation bis hin zur erstmaligen authentischen Begegnung mit der evangelischen Konfession. Um allen Schülerinnen und Schülern die jeweils besten Lernchancen zu ermöglichen, braucht es auf der Seite der Lehrkraft eine Haltung der Sensibilität und der Wertschätzung von Vielfalt. Die Grundlage dafür bietet die reformatorische Sicht auf den Menschen in seiner unverlierbaren Würde vor Gott. Auf der didaktischen Seite ist zieldifferenzierender Unterricht erforderlich. Ein solcher Religionsunterricht bietet eine differenzierte Aufgaben- und Lernkultur, die sowohl Lernaufgaben mit individuellen Ergebnissen als auch gemeinsames Lernen und Theologisieren, die Reflexion und die Kommunikation über je eigene Erfahrungen, Fragen und Einsichten und die Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten mit einbezieht.

Dafür bieten die drei Niveaustufen G, M und E abgestufte, aufeinander aufbauende Kompetenzformulierungen. Die drei Niveaus sind so aufeinander bezogen, dass jedes Niveau die Voraussetzung des nächsthöheren bildet. Die drei Niveaus G, M und E helfen der Lehrkraft, genauer wahrzunehmen, was die Schülerinnen und Schüler bereits wissen und können (Lernausgangsanalyse) und was sie demzufolge als Nächstes brauchen (kompetenzorientierte Unterrichtsplanung), um ihr Wissen und Können zu vertiefen und zu erweitern.

In den Schularten der Sekundarstufe I wird religiöse Bildung nicht nur mit der gegenwärtigen Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler, sondern auch mit ihren individuellen, gesellschaftlichen, biografischen und beruflichen Zukunftsaufgaben verknüpft. Der Evangelische Religionsunterricht beteiligt sich deshalb sowohl an schulischen Entwicklungsprozessen als auch an außerschulischen Kooperationen und Projekten.


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