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1. Leitgedanken zum Kompetenzerwerb

1.1 Bildungswert des Faches Syrisch-Orthodoxe Religionslehre

Zum Selbstverständnis der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien

Die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien – nach der Jerusalemer Urgemeinde die zweite städtische Gemeinde der frühen Christenheit – gehört zur Altorientalischen Kirchenfamilie. Zum Patriarchat von Antiochien gehören heute fünf Millionen Gläubige. Diese leben in folgenden Räumen: im alten Mesopotamien mit den Regionen Südosttürkei, Syrien, Irak, Libanon und Indien; seit einigen Jahrzehnten auch in West- und Mitteleuropa, in Nord- und Südamerika, in Australien und in den arabischen Emiraten. In der Bundesrepublik Deutschland leben etwa 100.000 syrisch-orthodoxe Christen, davon 15.000 in Baden-Württemberg. Die syrisch-orthodoxe Erzdiözese in Deutschland hat einen Erzbischof. Diözesansitz ist das Kloster St. Jakob von Sarug in Warburg bei Kassel.

Die Amtssprache der syrisch-orthodoxen Kirche ist das Aramäische (ܟܬܳܒܳܢܳܝܳܐ), die Muttersprache Jesu. In ihr wird das Alte und Neue Testament (Peshitta), die Werke der syrischen Kirchenväter gelesen und bis heute ihre heilige Liturgie gefeiert. Von daher sind Grundkenntnisse der aramäischen Sprache für die Schülerinnen und Schüler grundlegend. Die Unterrichtssprache ist allerdings Deutsch.

Seit dem Schuljahr 1994/1995 ist das Fach Syrisch-Orthodoxe Religionslehre im Fächerkanon der staatlichen Schulen des Landes Baden-Württemberg fest verankert. Es leistet einen gewichtigen Beitrag zur religiösen Identitätswahrung und zur Integration in das gesellschaftliche Leben.

Der Syrisch-Orthodoxe Religionsunterricht

Zentrale Aufgabe des Syrisch-Orthodoxen Religionsunterrichts ist die Einführung in das Leben mit Gott und der Kirche, die Förderung der Entwicklung der Getauften zu mündigen Christen und die Befähigung für die Welt und die Gesellschaft wahrzunehmen. Er hat Teil an dem schulischen Auftrag zu einer weltoffenen, humanen Bildung und zum interreligiösen Dialog. Überdies leistet er einen wichtigen Beitrag zur Integration junger syrisch-orthodoxer Schülerinnen und Schüler, unabhängig davon, ob sie in Deutschland geboren oder als Flüchtlinge hinzugekommen sind. Die Religionslehrerinnen und Religionslehrer sind dazu in besonderer Weise befähigt, weil sie Sprachen des Orients beherrschen.

Der Syrisch-Orthodoxe Religionsunterricht verhilft den Schülerinnen und Schülern zur persönlichen, religiösen und kulturellen Identitätsfindung und ist Begleiter auf dem Weg zur Entwicklung einer Persönlichkeit mit Fähigkeiten wie Empathie, Toleranz und Nächstenliebe. Weitere Aufgaben sind die Hinführung zu einem bewussten Leben mit der Kirche, zu einer verständigen Mitfeier der heiligen Liturgie und zur Verinnerlichung eines christlich-humanen Ethos.

Religionsunterricht und Schulkultur

Vom Syrisch-Orthodoxen Religionsunterricht gehen wichtige Impulse für die Schulkultur aus, zum Beispiel durch die Gestaltung von Gottesdiensten, Sozialprojekten und die Vermittlung von Regeln und Ritualen des Zusammenlebens. Eine besondere Rolle spielen dabei die Erziehung zu höflichem Verhalten, der Handschlag bei der Begrüßung sowie ein konstruktives Sozialverhalten.

In der Schule und in den gesellschaftlichen Raum hinein entfaltet der Syrisch-Orthodoxe Religionsunterricht seine Wirkung, indem er die Achtung der Menschenwürde, den Toleranzgedanken und das Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung in der Weise thematisiert, dass es emotional angenommen wird und so die Reflexion über eigene Einstellungen und Verhaltensweisen steuert.

Rechtliche Grundlagen des Syrisch-Orthodoxen Religionsunterrichts

Der Syrisch-Orthodoxe Religionsunterricht ist nach Art. 7, Abs. 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und nach Art. 18 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg ordentliches Lehrfach, für das Staat und Kirche gemeinsam Verantwortung tragen. Er wird gemäß dem Schulgesetz in Übereinstimmung mit den Lehren und Grundsätzen der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien erteilt (§ 96, Abs. 2 SchG).

Beitrag des Faches zu den Leitperspektiven

In welcher Weise das Fach Syrisch-Orthodoxe Religionslehre einen Beitrag zu den Leitperspektiven leistet, wird im Folgenden dargestellt:

  • Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
    Im Syrisch-Orthodoxen Religionsunterricht lernen die Schülerinnen und Schüler die Eine Welt vom biblischen Glauben her als Gottes Schöpfung zu verstehen, die dem Menschen zur Bewahrung anvertraut ist und für die er Verantwortung trägt. Dies schließt – insbesondere unter dem Aspekt der Gerechtigkeit – eine Feinfühligkeit für ökologisches Wirtschaften und der Möglichkeit der Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben mit ein.
  • Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV)
    Syrisch-Orthodoxer Religionsunterricht macht bewusst, dass nach dem christlichen Menschenbild einem jeden Menschen als Ebenbild Gottes unantastbare Würde von Gott her zusteht. Dieser Sachverhalt beinhaltet die sittliche Aufgabe der Wertschätzung eines jeden Menschen, unabhängig von seiner Herkunft, Weltanschauung oder Religion. Auf diese Weise leistet der Syrisch-Orthodoxe Religionsunterricht einen unverzichtbaren Beitrag zu einer ganzheitlichen Integration, die mehr ist als formale Anpassung.
  • Prävention und Gesundheitsförderung (PG)
    Die Schülerinnen und Schüler in ihrer Persönlichkeit zu stärken, ist ein zentrales Ziel des Syrisch-Orthodoxen Religionsunterrichts. Er ermutigt sie zu einer gesunden Lebensweise mit den Teilelementen Fasten, Konsumverzicht und Leben in Heiligkeit.
  • Berufliche Orientierung (BO)
    Der Syrisch-Orthodoxe Religionsunterricht bietet den Schülerinnen und Schülern – wie die anderen Fächer auch – die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten und Begabungen zu entdecken, zu erweitern und zu reflektieren. So zeigt er berufliche Perspektiven auf und dehnt den Horizont für die Gestaltung des eigenen Lebensweges aus.
  • Medienbildung (MB)
    Im Syrisch-Orthodoxen Religionsunterricht erwerben die Schülerinnen und Schüler Grundwissen des Sittlichen, das sie befähigt, im Blick auf Medien einen verantwortungsvollen Umgang zu entwickeln, Medien – auch als Informationsquelle – zu nutzen und Gefahren möglichen Missbrauchs zu erkennen und von sich fernzuhalten.
  • Verbraucherbildung (VB)
    Der Syrisch-Orthodoxe Religionsunterricht begründet mit der christlichen Ethik einen sachlichen Umgang mit Ressourcen in der Einen Welt. Die Schülerinnen und Schüler erwerben Wissen über die Konsequenzen ihres Konsumverhaltens und werden zu einem von Maß und Askese bestimmten Lebensstil herausgefordert.

Der Syrisch-Orthodoxe Religionsunterricht ermöglicht, die Vergangenheit und die gegenwärtige kulturelle Situation in der alten und in der neuen Heimat zu verstehen und in Bindung an ihre Tradition in die Zukunft zu blicken. Die Schülerinnen und Schüler werden befähigt, im Dialog der Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen ihren Standort zu bewahren. Damit verpflichtet sich das Fach Syrisch-Orthodoxe Religionslehre, die Kompetenzentwicklung der Kinder umfassend und ganzheitlich zu fördern.

1.2 Kompetenzen

Der Bildungsplan legt prozess- und inhaltsbezogene Kompetenzen fest, die untrennbar miteinander verbunden sind. Sie sind stets zusammen zu denken. In ihrer Zusammenführung werden sie zu einem tragfähigen Gewebe, das – bezogen auf die Situation vor Ort auf die Bedürfnisse der Kinder – individuell verfeinert und weiter gewoben wird.

Prozess- und inhaltsbezogene Kompetenzen sind eng miteinander verwoben. (© Landesinstitut für Schulentwicklung)
Abbildung 1: Prozess- und inhaltsbezogene Kompetenzen sind eng miteinander verwoben. (Bild: Kommissionen)

Prozessbezogene Kompetenzen

Die prozessbezogenen Kompetenzen gliedern sich in die fünf Kompetenzbereiche:

  • Wahrnehmen und Darstellen
    Die Schülerinnen und Schüler können religiöse Phänomene in ihrer familiären, gemeindlichen und schulischen Umwelt wahrnehmen und beschreiben.
  • Deuten
    Die Schülerinnen und Schüler können religiöse Ausdrucksformen, Symbole und Zeugnisse verstehen und deuten.
  • Urteilen
    Die Schülerinnen und Schüler können in religiösen und ethischen Fragestellungen eine eigene Position entwickeln.
  • Kommunizieren und Dialogfähig-Sein
    Die Schülerinnen und Schüler können in Auseinandersetzung mit christlichen Wertvorstellungen einen wertschätzenden Umgang mit anderen Menschen entwickeln.
  • Gestalten und Handeln
    Die Schülerinnen und Schüler können über Situationen des Lebens aus biblischer und patristischer Perspektive nachdenken, ihre Handlungsmöglichkeiten erweitern und Formen religiöser Praxis in der Schule mitgestalten.

Jeder dieser fünf Kompetenzbereiche ist in mehreren Teilkompetenzen konkretisiert. Um den wechselseitigen Bezug von prozess- und inhaltsbezogenen Kompetenzen besser verstehen zu können, wird bei den Beschreibungen der inhaltsbezogenen Teilkompetenzen auf prozessbezogene Teilkompetenzen verwiesen.

Inhaltsbezogene Kompetenzen

Neben dem altkatholischen, evangelischen und dem römisch-katholischen Bildungsplan zählt auch der syrisch-orthodoxe sieben Bereiche inhaltsbezogener Kompetenzen auf:

  • Mensch
  • Welt und Verantwortung
  • Bibel
  • Gott
  • Jesus Christus
  • Kirche
  • Religionen und Weltanschauungen

Alle Bereiche sind gleich fundamental, aber Bibel, Gott, Jesus Christus und Kirche haben im Blick auf das Proprium des syrisch-orthodoxen Religionsunterrichtes einen besonderen Stellenwert.

Durch die vertikale Gliederung wird der Kompetenzaufbau verdeutlicht. Es wird ausgewiesen, was die Schülerinnen und Schüler im Verlauf der Schuljahre lernen, wie sie ihre Kenntnisse, ihre Wahrnehmungs‑, Reflexions- und Ausdrucksfähigkeit sowie praktische Urteilsfähigkeit erweitern.

1.3 Didaktische Hinweise

Soziokulturelle Vorgaben

Die syrisch-orthodoxen Kinder kommen aus frommen Familien, kennen die familiäre Praxis von Tisch- und Abendgebet, von den Großeltern alt- und neutestamentliche Geschichten und kirchliches Brauchtum (Weihnachten, Ostern, Hochzeit und Fastenzeit). Sie kennen auch die Form der Begrüßung von Geistlichen und wissen ansatzweise um ihre eigene Herkunft und Identität. Sie nehmen in der Regel ab dem dritten Lebensjahr am sonntäglichen Gottesdienst teil. Auf diesem Vorwissen kann der Religionsunterricht aufbauen, das Wissen erweitern sowie zu religiös-sittlichen Einstellungen und Haltungen motivieren.

Dimensionen der Bildung

Bildung ist ein ganzheitlicher Vorgang, der die Sinne und die geistig-seelischen Fähigkeiten umfasst. Daraus ergibt sich, dass der Religionsunterricht nicht nur Wissen zu vermitteln hat, sondern auch meditative, Symbole und Sakramente erschließende, musische und gestaltende Elemente umfasst.

Praxis des Betens

Das Einüben des Betens sowie das Erlernen grundlegender Gebete hat im Syrisch-Orthodoxen Religionsunterricht eine hohe Bedeutung. Aus diesem Grund wird jede Religionsstunde mit einem Gebet in aramäischer Sprache eröffnet und abgeschlossen. Da das Aramäische die Sprache der Liturgie und des Betens ist, ist die Kenntnis der Muttersprache Jesu für den Syrisch-Orthodoxen Religionsunterricht grundlegend.

Klassenübergreifender Religionsunterricht

An manchen Schulen werden aufgrund der Schülerzahlen die Schülerinnen und Schüler der Klassen eins und zwei, drei und vier oder auch eins bis vier zusammen unterrichtet. Auch für diese Fälle gilt: Die Vorgabe des Bildungsplans ist fundamental, die Kombination der Inhalte ist in das pädagogische Ermessen der Lehrkräfte gestellt.


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