1.1 Bildungsgehalt des Faches Gemeinschaftskunde
Das Fach Gemeinschaftskunde bietet Schülerinnen und Schülern Wissen und Erfahrungsräume, um unterschiedliche gesellschaftliche Organisationsformen und somit Orientierung und Vorbereitung auf ein Leben in der Gemeinschaft in einer globalisierten Welt zu vermitteln. Im Zentrum des Unterrichts steht das Zusammenleben von Menschen in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Dies betrifft sowohl Mikrosysteme wie Klassen als auch Makrosysteme wie Länder und die globale Verantwortung. Die Erfahrungen und Fragen der Schülerinnen und Schüler aus ihrer Lebenswelt bilden Grundlagen für Lernprozesse unter raumbezogenen, politischen, kulturellen, sozialen, naturbezogenen, technischen und historischen Perspektiven. Tagespolitische und regionale Entwicklungen sowie jugendliche Lebensweltbezüge spielen hierbei eine besondere Rolle.
Die Schülerinnen und Schüler erwerben grundlegende Kompetenzen im Bereich der Gesellschaftswissenschaften. Dabei lernen sie sich in lebensnahen, möglichst realen Lernsituationen räumlich und politisch zu orientieren, entwickeln nachhaltige Handlungsperspektiven und -alternativen, bilden persönliche Handlungsmöglichkeiten aus und gelangen so zu eigenen Werthaltungen. Existenzielle Fragen der Schülerinnen und Schüler werden ernst genommen, aufgegriffen und helfen somit beim Entwurf individueller Lebensperspektiven. Es gilt, mit den Schülerinnen und Schülern die Fähigkeit einzuüben, eigenständig politische Meinungen zu vertreten, aber auch Kritik an den eigenen Urteilen zu tolerieren. Gesellschaftlich-politische Toleranz ist generell eine Haltung, auf die der Unterricht zielen muss.
Abbildung 1: Verflechtung Lebensfelder – Fach Gemeinschaftskunde (© Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg)
Das Fach Gemeinschaftskunde bietet vielfältige Möglichkeiten, in besonders enger didaktischer Vernetzung mit den anderen Fächern, mit den Lebensfeldern und den Leitperspektiven zu arbeiten. Diese Verbindungen müssen in der konkreten pädagogischen Arbeit beachtet werden. Bei der Formulierung der Kompetenzen ist berücksichtigt, dass Kenntnisse, Fähigkeiten, Einstellungen, Haltungen und Wertsetzungen sich im sozialwissenschaftlichen Bereich in einem lebenslangen Lernprozess entwickeln.
Wesentlich ist die Verinnerlichung demokratischer Grundwerte und Haltungen, die auf den Grund- und Menschenrechten basieren, wie etwa Gewaltfreiheit und Zivilcourage. Grundlegend ist die Einsicht, dass Freiheit und Verantwortung konstitutive Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind, die es zu sichern und weiterzuentwickeln gilt.
Das Schulleben beziehungsweise die Schulbiografie im Allgemeinen ist neben der Familie eine weitere wichtige Sozialisationsmöglichkeit zum Erlernen und Einüben demokratischen Verhaltens als Grundlage für eine wertschätzende, kritisch teilnehmende und verantwortliche Teilhabe als Staatsbürgerin und Staatsbürger in unserer Zivilgesellschaft. So vermittelt der Unterricht Handlungskompetenzen, die Schülerinnen und Schüler zu einer aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben befähigen. Dazu gehören nicht nur Dialog- und Urteilsfähigkeit sowie Wissen um demokratische Grundpfeiler als Voraussetzungen. Die Schülerinnen und Schüler sollen auch lernen, für eigene Interessen und die Interessen anderer einzutreten, sich couragiert gegen Unrecht und Verletzung der Menschenwürde einzusetzen, solidarisch Schwächeren beizustehen und bereitwillig Verantwortung zu übernehmen.
Der Unterricht fördert damit die Bereitschaft zur Verständigung und das interkulturelle Lernen. Er weckt das Verständnis und die Wertschätzung für andere Völker und Kulturen. Dabei baut der Gemeinschaftskundeunterricht der Hauptstufe auf den in der Grundstufe im Sachunterricht erworbenen Kompetenzen auf.
1.2 Kompetenzen
Neben den Kompetenzen, die in den einzelnen Kompetenzfeldern beschrieben werden, gilt es für das Fach Gemeinschaftskunde in Kombination mit den Lebensfeldern und anderen Fächern, die Schülerinnen und Schüler
- auf ein selbstständig geführtes Leben als Mensch in Staat und Gemeinschaft vorzubereiten,
- das Wissen um rechtsstaatliche Grundlagen in Bezug auf Rechte und Pflichten sowie auf institutionelle Begebenheiten und Wahlmöglichkeiten zu vermitteln,
- zu befähigen, ein stabiles und realistisches Selbstkonzept zu erarbeiten und sich selbst als Teil einer sozialen Gruppe wahrzunehmen,
- für soziale, kulturelle und politische Fragen zu interessieren,
- zu ermuntern, Beziehungen aufzubauen und zu pflegen,
- zu Zivilcourage zu ermutigen.
In Bezug auf prozessbezogene Kompetenzen lassen sich folgende Bereiche nennen:
Analysekompetenz
Voraussetzung für ein vertieftes Verständnis von Politik ist die gemeinsame und vereinfachte Analyse gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Prozesse.
Urteilskompetenz
Analyse- und Urteilskompetenz sind eng miteinander verbunden. Auf der Grundlage einer vereinfachten Analyse sollen die Schülerinnen und Schüler zu politischen Fragen und Problemen möglichst eigene Positionen entwickeln und begründen können. Sich mit Politik beschäftigen heißt immer auch kriterienorientiert urteilen.
Handlungskompetenz
Oberstes Ziel der politischen Bildung ist die Förderung der Mündigkeit jeder und jedes einzelnen. Politische Bildung erstreckt sich nicht nur auf die Bereiche der Analyse und des politischen Urteils, sondern beinhaltet auch die Ebene des praktischen politischen Handelns.
Methodenkompetenz
Um politische Fragen und Probleme bearbeiten zu können, benötigen die Schülerinnen und Schüler ein breites Instrumentarium allgemeiner und fachspezifischer Methoden. Dabei ist der kritische Umgang mit verschiedenen Medien von zentraler Bedeutung. Neben der Beschaffung und Bewertung von Informationen gehört auch das Präsentieren von Ergebnissen zur Methodenkompetenz.
Erweiterung der Perspektiven
Ziel dieses Entwicklungs- und Lernprozesses ist es, dass die Schülerin / der Schüler das Spektrum des eigenen Urteils vergrößert, die Perspektive erweitert und wechselt und damit ihre/seine Analyse beziehungsweise ihr/sein Urteil vielschichtiger macht.
1.3 Didaktische Hinweise
Die Schülerinnen und Schüler haben außerhalb der Schule längst eine Vorstellung davon entwickelt, was Politik ist. Der Gemeinschaftskundeunterricht knüpft an diese bereits vorhandenen Wissenskonzepte an, mit denen sich die Schülerinnen und Schüler die Welt erklären und politische Phänomene interpretieren. Dieses Vorwissen und Vorverständnis der Lernenden wird im Unterricht durch neues Fachwissen strukturiert, qualitativ verbessert und erweitert mit dem Ziel, realitätsnah und lebenspraktisch an politischen Themen und Aufgaben teilhaben zu können.
Als Basis werden grundlegende Vorstellungen bezeichnet, die für politisches Wissen prägend und strukturbildend sind. Mit Basiskonzepten, wie sie in diesem Bildungsplan beschrieben werden, strukturieren, ordnen und interpretieren Menschen ihre Erfahrungen mit Gemeinwesen und Politik. Sie helfen, den komplexen Gegenstand von Politik, Gemeinwesen und globaler Verantwortung zu ordnen und ihm eine verstehbare Struktur zu verleihen. Gleiche oder ähnliche Problemstellungen tauchen immer wieder im Unterricht auf und werden dabei zunehmend komplexer und differenzierter. Neue Probleme, Aufgaben und Fragestellungen lassen sich auf ähnliche Fragen beziehen, zum Beispiel auf die Frage, wie politische Herrschaft auf unterschiedlichen Ebenen legitimiert wird oder welche Ursachen es für Konflikte, Streit und Kriege gibt.
Für die Unterrichtsplanung und -durchführung im Fach Gemeinschaftskunde sind demnach zentrale fachdidaktische Prinzipien von grundlegender Bedeutung. Sie begründen die Inhalts- und Methodenauswahl und strukturieren die Planung und Durchführung des Unterrichts.
Schülerorientierung
Die Lerngegenstände orientieren sich an den Erfahrungen und Interessen der Schülerinnen und Schüler. Als Subjekt des Lernprozesses werden sie an der Auswahl politischer Themenschwerpunkte und Fragestellungen beteiligt. Die Planung des Unterrichts geht vom Vorwissen der Schülerinnen und Schüler aus. Sie werden dadurch als Wissende und nicht als Unwissende angesprochen. Das Vorgehen vom Nahen zum Fernen beziehungsweise vom Konkreten zum Abstrakten begünstigt dieses Prinzip.
Handlungsorientierung
Die Schülerinnen und Schüler setzen sich in schulischen Kontexten durch planvolles simulatives, produktiv-gestaltendes und/oder reales politisches Handeln (zum Beispiel an außerschulischen Lernorten) aktiv ein. Dabei sind inhaltlich relevante, schüleraktivierende, handlungs- und problemorientierte Lernangebote im Gemeinschaftskundeunterricht unentbehrlich.
Aktualität
Die Auswahl von Lerngegenständen orientiert sich an aktuellen Themen, Problemen und Lösungsvorschlägen. Auswahlkriterien wie Betroffenheit (Relevanz für die gegenwärtige Lebenssituation und Interessen) und Bedeutsamkeit (Relevanz für die Allgemeinheit oder die Zukunft) fördern die Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit den Problemen.
Problemorientierung
Politik beschäftigt sich mit der Lösung von Problemen, welche die Allgemeinheit betreffen und Handlungsdruck erzeugen. Die Schülerinnen und Schüler befassen sich mit politischen Problemen, analysieren diese und suchen aktiv Möglichkeiten der politischen Problemlösung.
Kontroversität
Was in Politik und Gesellschaft kontrovers diskutiert wird, muss auch im Unterricht kontrovers abgebildet werden. Politische Fragestellungen und Probleme werden im Unterricht aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.
Exemplarisches Lernen
Die Schülerinnen und Schüler sind in modernen Gesellschaften mit einer sehr komplexen, politischen Realität konfrontiert. Die gewählten Fälle und Herausforderungen stehen exemplarisch für das Politische. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit einzelnen Problemlagen, Sichtweisen oder Konflikten auseinander, um Kompetenzen auszubilden und Strukturmerkmale zu verstehen.