1.1 Bildungsgehalt des Faches Deutsch
1.1.1 Aktivität und Teilhabe
Übergeordnete Zielperspektive des Unterrichts im Förderschwerpunkt Lernen sind größtmögliche Aktivität und Teilhabe der Schülerinnen und Schüler in ihrer momentanen Situation und im Hinblick auf das zukünftige Leben. Sprachliche Kompetenz als Kompetenz in Wort und Schrift, vorrangig in der Zielsprache Deutsch, ist dabei wesentliche Voraussetzung für eine selbstständige und unabhängige Lebensführung. So trägt der Deutschunterricht dazu bei, dass sich die Schülerinnen und Schüler zunehmend in einer kommunizierenden Umwelt orientieren. Diese Kommunikation hat mannigfaltige Erscheinungsformen: nonverbal und sprachgebunden, von Angesicht zu Angesicht oder medial vermittelt, analog oder digital. Der Unterricht im Fach Deutsch schafft über die Anbahnung des kompetenten Umgangs mit all diesen Erscheinungsformen (siehe 1.1.3 Konzeptionelle Fragen an den Unterricht im Fach Deutsch) die Grundlage für diese Orientierung.
Darüber hinaus macht die mit Komplexität und Klassenstufe tendenziell zunehmende Sprachgebundenheit schulischer Inhalte den Kompetenzerwerb im Fach Deutsch zu einer Gelingensbedingung schulischer und formeller Bildungsprozesse. Auch nachschulisches, lebenslanges Lernen ist stark gebunden an sprachliche Kompetenz.
Die Inhalte und Methoden des Deutschunterrichts zielen neben kompetenter Bewältigung der Lebenswirklichkeit auf den Erwerb sozialer Kompetenzen durch den kommunikativen Anteil des Faches und nicht zuletzt auf die Stärkung der Identität der Schülerinnen und Schüler (siehe hierzu auch „Beitrag des Faches zu den Lebensfeldern“). Dies geschieht auch durch den Einbezug unterschiedlicher Sprachbiografien und -erfahrungen sowie deren Wertschätzung. Dem Unterricht im Fach Deutsch kommt in diesem Sinn eine emanzipatorische Bedeutung und Funktion zu.
1.1.2 Aufgabe und Ziel des Unterrichts im Fach Deutsch
Vorrangige Ziele des Unterrichts im Fach Deutsch sind die Alphabetisierung in der deutschen Sprache, ihre Anerkennung als Grundlage für Leben und Arbeit in der Gesellschaft und der damit verbundene Erwerb personaler und sozialer Kompetenzen. Das Fach Deutsch verfolgt eine in diesem weiten Sinn verstandene Alphabetisierung.
Die wichtigste Aufgabe des Deutschunterrichts ist es, die jeweiligen Kompetenzen und die Freude im Umgang mit Sprache und Schriftsprache in all ihren Erscheinungsformen zu wecken, zu erhalten und den Lernvoraussetzungen und Möglichkeiten der Kinder und Jugendlichen entsprechend zu erweitern, um sie zum Sprechen, Lesen und Schreiben zu motivieren. Dabei sollen sich die Schülerinnen und Schüler, ausgehend vom jeweiligen Lernstand, als kompetent und erfolgreich erleben und ihre individuellen Potenziale entfalten können.
1.1.3 Konzeptionelle Fragen an den Unterricht im Fach Deutsch
(Schrift-)Sprachentwicklung im emotional-sozialen Entwicklungszusammenhang
Die (Schrift-)Sprachentwicklung der Schülerinnen und Schüler vollzieht sich im Rahmen eines komplexen Bedingungsgefüges und ist vielfältig verwoben mit der Gesamtentwicklung der Person.
Im Förderschwerpunkt Lernen sind unterschiedliche Erfahrungen mit (Schrift-)Sprache zu beachten. Auch unterschiedliche Gewohnheiten, Möglichkeiten und Erfahrungen mit Erzählsituationen, Schrift oder Literatur im frühen Kindesalter (literacy) schaffen eine Diversität an Vorerfahrungen, die in der Unterrichtsgestaltung Berücksichtigung finden muss.
Um die Sinnhaftigkeit von Sprache in all ihren Formen für jede und jeden erfahrbar zu machen, ist auf dieser Grundlage stets ein alters- und entwicklungsentsprechender individueller Lebensweltbezug herzustellen und aufzuzeigen.
(Schrift-)Sprachentwicklung im Kontext der Mehrsprachigkeit
Das Fach Deutsch versteht sich als Fach, in dem Deutsch auch als Zweitsprache vermittelt wird und damit als Zielsprache im Zusammenhang mit Aktivität und Teilhabe. Hierbei gelten ebenfalls individuelles, kompetenz- und stärkenorientiertes Vorgehen im Unterricht mit dem Ziel der Ermutigung als Grundprinzipien. Mehrsprachigkeit und das damit verbundene implizite Wissen wird durchgehend als Chance genutzt. Heterogene Lerngruppen und Sprachenvielfalt werden als Gelegenheit verstanden, über den Austausch über Herkunft, Kultur, Tradition und sprachliche Kennzeichen und Besonderheiten zu einer eigenen Standortbestimmung zu gelangen (siehe „Beitrag des Faches zu den Lebensfeldern“). Deutsch ist dabei Ziel- und Unterrichtssprache, unter situationsangemessenem Einbezug der Erstsprachen aller Beteiligten. Transfermöglichkeiten aus der Sprachbiografie und dem Sprachenlernen von Schülerinnen und Schülern aus Familien mit Migrationshintergrund werden genutzt. Dazu gehört auch, dass der Ausdruck von Sprachformeln zu unterschiedlichen Anlässen (zum Beispiel Begrüßung, Dank, Glückwünsche) oder Unterstützung, die sich die Schülerinnen und Schüler in ihren Erstsprachen gegenseitig geben, zugelassen und gefördert werden. Durch Einblicke in die Lebens- und Sprachwelten aller Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrkräfte wird eine Sensibilität für andere Kulturen sowie für eigene und weitere Sprachen geweckt (siehe auch Leitperspektive „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“).
Medien als Mittel und Lerngegenstand selbst
Die Schülerinnen und Schüler wachsen mit vielfältigen und unterschiedlichen Medien auf. Daher ist es wichtig, die Medienerfahrungen der Schülerinnen und Schüler in den Unterricht einzubeziehen. Ein Unterricht im Fach Deutsch, der die Bedeutung von Schriftsprache in diesen Erfahrungen reflektiert, stützt sich auf den erweiterten Textbegriff (siehe 1.3). Gegenstand des Unterrichts ist die Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Texte und zugleich mit ihrer medialen Aufbereitung. In allen Schulstufen werden die Schülerinnen und Schüler in ihren Medienkompetenzen gestärkt. Adäquate Formen der Medienanalyse tragen zu Aktivität und Teilhabe, aber auch zu bewusst-kritischem und sicherheitsorientiertem Umgang bei (siehe auch Leitperspektive „Medienbildung“).
Fächerübergreifendes Sprachbildungskonzept
Sprachförderung und Alphabetisierung sind im Förderschwerpunkt Lernen Aufgabe aller Fächer. Vom Unterricht im Fach Deutsch können, auf der Grundlage der oben geschilderten Fachlichkeit, maßgebliche Impulse zum sprachsensiblen Unterrichten in anderen Fächern ausgehen, beispielsweise durch die schulisch vereinbarte Erstellung eines Glossars als sprachliche Hilfe zur Erschließung eines Sachthemas. Das sprachsensible Unterrichten bezieht sich neben dem individuell angepassten Sprachniveau zum einen auf das Selbstverständnis von Lehrkräften und pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als sprachliche Vorbilder. Zum anderen umfasst es fächerverbindendes Lernen und schließlich auch Maßnahmen der Sprachbildung (zum Beispiel Unterricht in den Erstsprachen der Schülerinnen und Schüler) durch die Schule und ihre Partner.
1.1.4 Beitrag des Faches Deutsch zu den Lebensfeldern
Personales Leben
Menschen vergewissern sich unter anderem über Sprache ihrer selbst und, damit eng verbunden, ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Ein sprachsensibler Unterricht im Förderschwerpunkt Lernen nimmt deswegen insbesondere Erschwernisse einer solchen Verortung wahr. Diese Erschwernisse können beispielsweise gegeben sein durch Diskontinuitäten in der Sprachbiografie der Schülerinnen und Schüler, wie sie unter anderem durch Migration entstehen können. Auch Unterschiede zwischen den Sprachcodes der verschiedenen Systeme und Lebenszusammenhänge, in denen sich die Schülerinnen und Schüler bewegen, können sich erschwerend auf die Zugehörigkeit zu einer Gruppe auswirken. Diese Unterschiede werden wahrgenommen und produktiv bearbeitet.
Ziel ist dabei ein emanzipierender (Sprach-)Unterricht, der die Schülerinnen und Schüler darin unterstützt, die Beziehung zwischen Individuum und Außenwelt klären sowie zunehmend eigenständig gestalten zu können.
Soziales und gesellschaftliches Leben
Sprache wird als Kommunikationsmittel gebraucht, um zwischenmenschlichen Umgang zu gestalten, zu regeln und, im Konfliktfall, zu bearbeiten und zu klären. Verantwortlich handelnde Individuen verfügen über Kompetenzen in Empathie und antizipieren Wirkungen ihres Verhaltens auf weitere Beteiligte. Alters- und entwicklungsgemäß trägt der Unterricht im Fach Deutsch dazu bei, Empathiefähigkeit und Perspektivwechsel anzubahnen und auszubauen. Ziel der schulischen Arbeit im hier beschriebenen Schnittpunkt von Lebensfeld und Fach ist es, eine Ausdrucksform für soziale Situationen zu finden, diese sprachlich zu fassen und sie somit bewusst mitgestalten zu können.
Arbeitsleben
Die Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift ist in fast allen Fällen, wenn auch in unterschiedlichem Maß, Zugangsvoraussetzung zu Ausbildung, Erwerbstätigkeit und Beruf. Die Arbeit am und im Übergang zwischen Schule und Beruf am Ende der Sekundarstufe I dreht sich in allen Fächern zum einen stark um sprachliche Inhalte (zum Beispiel Bewerbungsschreiben, Lebenslauf, Vorstellungsgespräch), zum anderen nimmt das Arbeitsleben im Unterricht des Faches Deutsch diesen Übergang als Gegenstand und Anlass für die Weiterentwicklung von Kompetenzen (siehe zum Beispiel Kompetenzspektren „Entwicklung der Rechtschreibfähigkeit“ und „Entwicklung des grammatikalischen Wissens“).
Die inhaltlichen und methodischen Möglichkeiten des Faches Deutsch bieten Gelegenheiten, mit den biografischen Veränderungen des Übergangs Schule – Beruf umzugehen und diese zu reflektieren.
Abbildung 1: Verflechtung Lebensfelder – Fach Deutsch (© Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg)
1.2 Kompetenzen
Der Unterricht im Fach Deutsch basiert auf Erkenntnissen aus der Schriftspracherwerbs-, Schreibprozess- und Sprachentwicklungsforschung, auf den Ergebnissen von Studien zur Lesemotivation, zur literarischen Sozialisation, zur Sprachbewusstheit sowie zum Rechtschreib- und Grammatiklernen. Er bezieht sich auf Kompetenzstufenmodelle des Lesens und Schreibens.
Unterrichtsgegenstände im Fach Deutsch sind Sprache, Texte im Sinn eines erweiterten Textbegriffs (siehe 1.3) sowie Textsorten. Entsprechend dem Lernstand und dem Entwicklungsalter der Schülerinnen und Schüler wird hier in Grund- und Hauptstufe unterschieden, wobei Themen durchaus spiralcurricular wieder aufgegriffen und vertieft werden können. An unterschiedlichen Texten werden Kompetenzen in den Bereichen Zuhören und Sprechen / mündliche Kommunikation, Schreiben und Lesen erworben und weiterentwickelt. Sowohl im mündlichen Sprachgebrauch (Zuhören und Sprechen / mündliche Kommunikation) als auch in den schriftsprachlichen Kompetenzbereichen (Schreiben und Lesen) bedarf es für einen gelingenden Kompetenzerwerb im Unterrichtsfach Deutsch im Förderschwerpunkt Lernen wichtiger Vorerfahrungen und Grundlagen. Diese finden in den Kompetenzspektren „gezieltes Zuhören" und „Bereitschaft zur Kommunikation" sowie „Schriftsprache grundlegen" in der Grundstufe explizite Berücksichtigung.
Bezogen auf die Stufen ergibt sich für den Unterricht im Fach Deutsch folgende Struktur:
Abbildung 2: Struktur von Kompetenzbereichen und Stufen im Fach Deutsch (© Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg)
Alle Kompetenzfelder und Kompetenzspektren sind grundsätzlich miteinander verbunden. Dies liegt zum einen an parallel ablaufenden Erwerbsprozessen aller beteiligten sprachlichen Kompetenzen, zum anderen an einer funktionellen Verzahnung der Kompetenzfelder: Schreiben erfüllt kommunikative Funktion und braucht ein lesendes Gegenüber; mündlicher Austausch im Anschluss an Gelesenes kennzeichnet bereits frühe Erfahrungen mit Texten. Somit enthalten alle Kompetenzspektren sowohl inhaltliche als auch prozessbezogene, sowohl rezeptive als auch produktive Kompetenzen. Ausgehend von den individuellen Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler werden jedoch nur ausgewählte Kompetenzen unterrichtlich thematisiert.
Sprache und Texte erleben / mit Textsorten umgehen
Der Umgang mit Sprache, Texten im Sinn des erweiterten Textbegriffs und Textsorten aller Art und unterschiedlichster Funktionen ermöglicht selbstbestimmte Aktivität und Teilhabe in allen wesentlichen Lebensbereichen: Neben der intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst als Person kommen die Schülerinnen und Schüler in der Auseinandersetzung mit Texten mit anderen in Austausch und bearbeiten gesellschaftlich relevante Themen. Sie lernen sowohl im selbstständigen Leben als auch im Arbeitsleben zurechtzukommen. Voraussetzung dafür kann die Adaption von Texten im Sinn von Vereinfachungen, Kürzungen oder alternativer Versionen sein.
Um dies zu gewährleisten, sind Sprache, Texte und Textsorten entwicklungs-, alters- und lebensweltentsprechend auszuwählen und breit anzulegen. Ziel ist der möglichst selbstständige, emanzipierte und kritische Umgang mit den die Schülerinnen und Schüler umgebenden Texten. Dabei wird auf ein möglichst breites Methodenrepertoire im Unterricht im Fach Deutsch zurückgegriffen.
Zuhören und Sprechen / mündliche Kommunikation
Das Zuhören als Ausdruck gerichteter, fokussierter Wahrnehmung wird als eine Grundlage für gelingende Kommunikation erlebt und geübt. Dazu stellt die Schule diagnostisch sicher, dass die individuellen Voraussetzungen für auditive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsleistung erkannt und gegebenenfalls in einem möglichst hohen Maß gewährleistet werden. Hierzu zählen beispielsweise eine optimale Sitzposition im Unterricht gemäß den jeweiligen Sinnesleistungen oder auch angepasste Satzstrukturen, die ritualisierte Verwendung von Sprache und Visualisierungen. Die Schülerinnen und Schüler erkennen sowohl in der Rolle der Mitteilenden als auch der Zuhörenden die Bedeutung des intentionalen Zuhörens.
Die Schülerinnen und Schüler haben Erfahrungen mit Sprache als Mittel der Verständigung in ihren verschiedenen Erscheinungsformen und Färbungen, zum Beispiel im Unterschied zwischen Erst- und Zweitsprache, in unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen, als Dialekt oder Soziolekt. Sie erlernen in zunehmendem Maß, Sprache situationsadäquat einzusetzen, so dass auch Identität und soziale Kompetenzen gestärkt werden. Die mündliche Ausdrucksfähigkeit wird in vielfältigen Erzähl- und Gesprächssituationen geübt, auch im Hinblick auf nonverbale Kommunikationsmöglichkeiten. Die Bedeutung der wertschätzenden Rückmeldung erfahren die Schülerinnen und Schüler regelmäßig und als Anregung und Stärkung der eigenen Entwicklung. Die Gruppe muss dabei als schützender Rahmen wahrgenommen werden, innerhalb dessen individuelle Entfaltung gewagt werden kann.
Vorbildhaftes und handlungsbegleitendes Sprechen der Lehrperson unterstützt die Entwicklung des Spracherwerbs in der Zielsprache Deutsch. Die Versprachlichung von Sachzusammenhängen führt in allen Fächern zur Erweiterung des Wortschatzes und der Begriffsbildung.
Schriftsprache grundlegen
Um im Unterricht im Fach Deutsch aktiv teilhaben zu können, werden je nach individuellem Lernstand zunächst auch Vorerfahrungen und Vorläuferfertigkeiten angebahnt und ausgebaut, die für die erfolgreiche Auseinandersetzung mit Schriftsprache notwendig sind. Von akustischen und bildlichen Signalen ausgehend werden Übergänge geschaffen auf abstraktere Ebenen (Piktogramme, Schriftzeichen, Laute) bis hin zur ausgebildeten schriftsprachlichen Kompetenz. Es gilt während der gesamten Bildungsbiografie der Schülerinnen und Schüler, die vorhandenen Vorläuferfähigkeiten zu erheben, individuell zu erweitern und durch den Einsatz von Hilfsmitteln (zum Beispiel eines Phonem-Manual-Systems) zu kompensieren, sofern dies notwendig ist. Dies ist gleichzeitig Grundlage und Folge eines erfolgreichen (Deutsch-)Unterrichts im Förderschwerpunkt Lernen.
Schreiben
Im Gegensatz zum mündlichen Sprachgebrauch vollzieht sich das Schreiben im dekontextualisierten Rahmen, das heißt ein nichtanwesender Adressat wird angesprochen und rezipiert den Text zumeist mit zeitlicher Verzögerung. Dies setzt vielfältige Kompetenzen nicht nur im fachlichen, sondern auch im methodischen, sozialen und personalen Bereich voraus. Der Unterricht im Fach Deutsch unterstützt darin, diese Kompetenzen auszubilden und weiterzuentwickeln.
Neben der kommunikativen Funktion der Schrift dient Schriftsprache auch der Strukturierung von Denk- und Handlungsprozessen, der Bewusstmachung, Intensivierung und Verarbeitung von Erlebnissen und Eindrücken und damit dem Erkenntnisgewinn und der Emanzipation der Schülerinnen und Schüler. Schreiben ist somit ein wesentlicher Bestandteil für eine gelingende Bildungsbiografie und unterstützt die Identitätsentwicklung.
Eine erste Aufgabe des Unterrichts im Fach Deutsch kann sein, die Schülerinnen und Schüler für die Bedeutung des Schreibens in ihrer Lebenswirklichkeit zu sensibilisieren und zur mitunter mühevollen Erarbeitung und Automatisierung des Schreibens zu motivieren. Schlüsselfaktoren dafür sind der Ernsthaftigkeitscharakter von Textproduktionen und der situative Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler.
Die Fähigkeit, Laute zu unterscheiden und ein Wort zunehmend genauer auf seinen Lautbestand hin zu analysieren, ist Grundlage eines erfolgreichen Schriftspracherwerbs. Angesichts erschwerter Lernausgangslagen bedarf dieser Prozess einer besonderen methodisch-didaktischen Hinwendung seitens der Lehrkraft. Um eine bessere Lesbarkeit der Schreibprodukte zu gewährleisten, ist die zunehmende Orientierung an orthografischen Normen Ziel des Schriftspracherwerbs. Dies gelingt durch die Konfrontation mit dem richtigen Schriftbild sowie eigenaktiver (Re-)Konstruktion von Schrift. Lautentsprechendes Schreiben unterstützt diesen Prozess und ist als ein wichtiger Zwischenschritt im Erwerb schriftsprachlicher und rechtschriftlicher Kompetenzen zu verstehen.
Durch Erweiterung des grammatikalischen Wissens – nicht erst ab der Hauptstufe – erwerben die Schülerinnen und Schüler ein zunehmend differenziertes Sprachbewusstsein, zu dem auch Wissen über die Sprache als geregeltes, differenziertes System sowie Kenntnisse über grundlegende Kategorien zu ihrer Beschreibung gehört. Dies unterstützt zudem den Fremdsprachenerwerb.
Die Entwicklung einer Handschrift ist ebenso wie der Prozess der Identitätsbildung nicht mit Ende einer Stufe oder der Schulzeit abgeschlossen.
Der Erwerb von Schriftsprachkompetenz ist nicht unabhängig vom Verfassen eigener Texte zu denken. Die Fülle der alters- und entwicklungsgemäß auszuwählenden Schreibanlässe spiegelt dabei die vielfältigen Funktionen von Texten (Alltagserleichterung, Kommunikation, ästhetisches Erleben, Selbstreflexion und vieles mehr) wider. Lebensweltbezug und Sinnhaftigkeit sind bei der Textproduktion oberstes Primat. Der fächerverbindende Charakter des Unterrichts im Fach Deutsch wird an dieser Stelle besonders sichtbar.
Lesen
Die Fähigkeit zu lesen wird als Schlüsselkompetenz betrachtet, denn sie stellt sinnbildlich den Schlüssel zu wichtigen Lebensbereichen dar: Für eine erfolgreiche Bildungs- und Berufsbiografie sowie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist das Lesen-Können bedeutsam. Lesen trägt wesentlich zur Persönlichkeitsentwicklung bei.
Durch Lesen wird die Gedanken- und Vorstellungswelt eröffnet und erweitert. Texte regen zur Auseinandersetzung mit menschlichem Denken, Fühlen und Handeln an und erweitern so das jeweilige Handlungsspektrum. Durch die Texterschließung wird das Vorwissen aktiviert und führt zu einer Erweiterung des Weltwissens und dadurch zu verbesserter Aktivität und Teilhabe.
Im Unterricht sollen die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit bekommen zu entdecken, wo Texte vorkommen, welche Wirkung mit welchem Medium erzielt werden kann und welche Bedeutung geschriebene und gesprochene Sprache für den Alltag haben. Sie erfahren auch, wie genussvoll es sein kann, Geschichten zu hören oder selbst zu lesen.
Erzähl- und Vorlesezeiten sowie die begleitende Kommunikation fördern unterschiedliche elementare Bereiche (zum Beispiel Wortschatz, Ausdrucksfähigkeit, Weltwissen, Lesefähigkeit) und schaffen Leselust.
Der (Erst-)Leseunterricht berücksichtigt die Unterschiede der Schülerinnen und Schüler hinsichtlich ihrer Leseerfahrung, ihres Vorwissens und Entwicklungsstands. Er knüpft an die individuelle Ausgangssituation der Schülerin / des Schülers an und bildet grundlegende Lesefertigkeiten aus. Unter diesen werden hier Teilkompetenzen des Lesens verstanden, die Bedeutungskonstruktionen erst ermöglichen: Hierzu zählen die Sicherung der Graphem-Phonem-Korrespondenz, die Graphem-, Wort- und Satzidentifikation sowie die Bildung lokaler Kohärenz (Herstellung einer Bedeutung auf Wort- und Satzebene).
Grund- und Hauptstufe arbeiten konsequent am Auf- und Ausbau der Lesefähigkeit. Unter dieser wird eine komplexe Leistung verstanden, die sich aus der Lesefertigkeit, weiteren Kompetenzen der Bedeutungskonstruktion sowie motivationalen, volitionalen und sozialen Faktoren zusammensetzt:
Satzübergreifend und textumfassend muss Bedeutung konstruiert werden können (globale Kohärenz). Hierfür wird sprachliches Wissen und Weltwissen sowie Wissen über Strukturen und Strategien in unterschiedlichen Textsorten benötigt und eingesetzt.
Die Lesemotivation der Schülerinnen und Schüler spielt eine entscheidende Rolle. Die in der Schule institutionalisierte Lesekultur (zum Beispiel schulische Lesezeiten mit freier Literaturwahl durch die Schülerinnen und Schüler), aber auch außerschulische Kooperationen zum Beispiel mit Bibliotheken, Kinder- und Jugendtheatern, Autorinnen und Autoren tragen dazu bei. Ein breit gefächertes Angebot an Texten, die unterschiedliche Interessen berücksichtigen, auch Texte in weiteren Erstsprachen und in unterschiedlichen medialen Darbietungsformen (zum Anschauen, Anhören und Lesen), fördert die Schülerinnen und Schüler bei der Entwicklung ihres Leseinteresses.
Weiterführende Lesestrategien – mit dem Ziel, das Textverstehen zu erleichtern – werden ausgebildet, trainiert und vielfältig genutzt. Das Anwenden verschiedener Arbeitstechniken unterstützt hierbei.
Ausgangspunkt sind dabei die Lernausgangslagen der jeweiligen Schülerin / des jeweiligen Schülers, um bei Auswahl und Angebot der Texte den Schwierigkeitsgrad sowie den motivationalen Aspekt zu berücksichtigen. Es ist deshalb entscheidend, mit den Schülerinnen und Schülern über ihre Lesefähigkeit und insbesondere über ihre Lesemotivation zu sprechen. Die Schülerinnen und Schüler lernen, beides einzuschätzen und zu beschreiben.
1.3 Didaktische Hinweise
Anschlussfähigkeit an Vorerfahrungen
Aufgabe der Unterrichtsplanung im Fach Deutsch ist in jeder Altersstufe, die Rückbindung an bereits erworbene Kompetenzen sicherzustellen und die Sinnhaftigkeit der Sprachverwendung in Anlass, Form und Absicht nachvollziehbar zu machen. Ein besonderes Spannungsfeld ist unter Umständen der Stellenwert von Schriftsprache in den Gewohnheiten der Mediennutzung der Schülerinnen und Schüler. Zielführender Unterricht sowie seine Methoden und Inhalte müssen gerade bei marginalisierenden Sozialisationsbedingungen immer wieder neu ausgehandelt und gestaltet werden.
Alters- und entwicklungsadäquate Zugänge
Im Spannungsfeld eines sich alters- und entwicklungsbedingt entwickelnden Interesses an weiterführenden, komplexen Inhalten und einer, im Vergleich hierzu, unter Umständen langsamen und diskrepanten Erweiterung schriftsprachlicher Kompetenzen erarbeitet der Unterricht im Fach Deutsch in allen Schulstufen individuell angepasste Möglichkeiten der Erschließung und Aneignung von Welt. Dies erstreckt sich nicht zuletzt auch auf einen angemessenen Einbezug außerschulischer Lernorte, Lernsituationen mit altersentsprechendem Ernsthaftigkeitscharakter und auf adäquate mediale Aufbereitung und Darbietung von Inhalten.
Erweiterter Textbegriff
Um unterschiedlichen Vorerfahrungen, Lernwegen und Möglichkeiten gerecht zu werden, orientiert sich der Unterricht im Fach Deutsch an einem erweiterten Textbegriff. Text wird hierbei als Ausdrucks- und Darbietungsform einer kommunikativen Handlung verstanden (lat. textus – Gewebe, Geflecht). Hierunter sind traditionelle fiktionale und nonfiktionale Texte zu fassen – gedruckt, kontinuierlich –, aber auch Texte, die die lineare, schriftgebundene Darbietungsweise verlassen. Somit werden auch digitale Darstellungsweisen (zum Beispiel Verlinkungen, Hypertext), audiovisuelle Texte (zum Beispiel Filme, Videos, Tutorials), rein visuell oder auditiv dargebotene Formen (zum Beispiel Hörspiele, Radiobeiträge, Podcasts, Bilder) sowie nichtlineare/diskontinuierliche Texte (zum Beispiel Schaubilder, Tabellen, Formulare) konsequent in den Blick genommen. Nutzungsgewohnheiten der Schülerinnen und Schüler werden dabei aufgegriffen und erweitert.
Handlungs- und Produktionsorientierung
Neben analytischen Zugängen, beispielsweise zu Texten, stehen gleichberechtigt und gleichbedeutend handlungs- und produktionsorientierte Verfahren, um die Sinnhaftigkeit (schrift-)sprachlichen Handelns erfahrbar zu machen. Wo möglich, werden unterschiedliche Lernwege und vielfältige Sinneseindrücke einbezogen und berücksichtigt.
Fehlerkultur
Grundsätzlich sind Lernumfeld und Lernaufgaben so zu gestalten, dass sich die Schülerinnen und Schüler als erfolgreich erleben können. Hierzu tragen auch kooperative Lernmethoden maßgeblich bei, in denen sich die Schülerinnen und Schüler gegenseitig unterstützen und von- und miteinander lernen.
Fehler im gesamten Bereich des sprachlichen Lernens sind diagnostische Chancen und geben zum einen Einblick in (Schrift-)Sprachgewohnheiten, zum anderen in Vorstellungen und Konzepte der Schülerin / des Schülers. Sie sind im Rückgriff auf Erwerbsmodelle als Indikatoren zu verstehen, auf welcher Entwicklungsstufe sich die Schülerin / der Schüler befindet und welcher Lernschritt der nächste sein kann.
Insgesamt zielt der Unterricht im Fach Deutsch darauf ab, Freude an (schrift-)sprachlichem Handeln zu entwickeln. In diesem Sinn wird eine fehlerfreundliche Lernkultur gepflegt, die einen produktiven Umgang mit Fehlern kennt. Formale Korrektheit wird in einem individuell möglichen Maß, das die Lernmotivation erhält, vermittelt und geübt.
Verknüpfungen zur individuellen Lern- und Entwicklungsbegleitung (ILEB) und individuellen Bildungsangeboten
In welcher Form und in welchem Umfang obige Ziele oder einzelne Kompetenzen, die der vorliegende Bildungsplan ausweist, erreicht werden, hängt entscheidend von den Lernvoraussetzungen und Möglichkeiten der einzelnen Schülerin / des einzelnen Schülers ab. Das sprachliche Niveau und der Grad der Beherrschung der Zielsprache Deutsch in Wort und Schrift sind individuell zu bestimmen. Der Ausbau der festgestellten Kompetenzen findet auf jeweils angemessenem Niveau in altersgemäßer inhaltlicher und methodischer Ausgestaltung unter Berücksichtigung gegenwärtiger und zukünftiger Bedürfnisse und Interessen statt. Dies schließt auch Aspekte formaler Korrektheit ein.