1.1 Bildungsgehalt des Lebensfeldes Arbeitsleben
Der Übergang in das nachschulische Arbeitsleben, als Teil der drei miteinander verwobenen Zielbereiche „Arbeit – Wohnen – Freizeit“, wird im Sinne einer persönlichen Zukunftsplanung ab der Hauptstufe am sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ), in inklusiven Bildungsangeboten und in kooperativen Organisationsformen gemeinsam mit der Schülerin oder dem Schüler und mit Menschen, die dem jungen Erwachsenen nahestehen, zunehmend vorbereitet und begleitet. Dies betrifft insbesondere die Bereiche der Berufsorientierung und späteren beruflichen Teilhabe. Besonders für Menschen mit komplexer Behinderung, herausfordernden Verhaltensweisen und psychischen Erkrankungen müssen frühzeitig mögliche Perspektiven erarbeitet und erlebbar gemacht werden, um gegebenenfalls längerfristig dafür hilfreiche Kompetenzen entwickeln zu können (zum Beispiel durch den Einsatz von visualisierten Arbeits- und Zeitstrukturen, durch einen eigenen Arbeits- und Pausenrhythmus). Hierbei ist zu klären, inwieweit gegebenenfalls eine Passung von Lernumgebung und Lebenswelt erforderlich und möglich ist, um ein Höchstmaß an Teilhabe und Aktivität zu erreichen.
Arbeit beziehungsweise berufstätig sein bilden in unserem Verständnis einen Schwerpunkt des nachschulischen Lebens. Sie geben Struktur, können soziale Kontakte, Teilhabe und Anerkennung schaffen, binden den Menschen in die Gesellschaft ein, stiften Sinn und Identität und ermöglichen die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Dabei muss nicht die in der Regel damit verbundene Entlohnung im Vordergrund stehen. Arbeit bildet einen Kontrast zur Freizeit, die ohne diesen Gegenpol an Wert verlieren würde.
Über die eigene Zukunft nachzudenken, Wünsche und Vorstellungen zu entwickeln und diese zu kommunizieren, zu analysieren und daran weiter zu arbeiten, sind Kompetenzen, die sich im Laufe des Lebens entwickeln und während der gesamten Schulzeit sorgfältig vorbereitet und gestärkt werden. Hierbei ist eine fortlaufende Dokumentation im Sinne einer Biografiearbeit hilfreich. Im Mittelpunkt stehen die Schülerinnen und Schüler mit ihren jeweiligen Vorstellungen, Wünschen, Stärken und Schwächen sowie ihrem persönlichem Assistenz- und Unterstützungsbedarf. Eine enge und regelmäßige Kommunikation und Kooperation aller Beteiligten (Schülerin oder Schüler, Eltern und Angehörige, Lehrkräfte, weitere Erziehungspartner, Therapeutinnen und Therapeuten) ist anzustreben. Geeignete Medien und Materialien werden den Schülerinnen und Schülern angeboten, damit sie ihren Vorstellungen zur Lebensgestaltung Ausdruck verleihen können. Diese müssen in der Realität erlebt und entsprechend abgeglichen und weiterentwickelt werden. Hierbei findet eine individuelle Auseinandersetzung mit Begabungen und Begrenzungen, ebenso wie der Umgang mit Autonomie und Fremdbestimmung statt. Bei der Entwicklung einer realistischen Perspektive im beruflichen Bereich und deren Umsetzung werden systematisch und rechtzeitig außerschulische Partner (zum Beispiel in Berufs- und Netzwerkkonferenzen) einbezogen. Die Eltern und weitere Erziehungspartner werden entsprechend über außerschulische Partner und Unterstützungssysteme informiert. Für Schülerinnen und Schüler mit komplexen Behinderungen bedeutet dies auch, dass ihre Erfahrungen, Reaktionen und ihr Befinden innerhalb und außerhalb der Schule (zum Beispiel in Praktika) aufmerksam wahrgenommen, interpretiert und dokumentiert und somit Teil des beruflichen Orientierungsprozesses werden.
In der Alltagsstruktur der Schule werden Arbeitszeit und Freizeit erkennbar unterschieden. Innerhalb des Schullebens bietet die Schule an allen Standorten vielfältige Gelegenheiten, ohne oder mit Be- und Entlohnung Aufgaben und Arbeiten zu übernehmen und sich zu erproben, sowie Grundhaltungen und Schlüsselqualifikationen zu erwerben. Dieses grundlegende Prinzip wird in allen Stufen mit unterschiedlichen Ausprägungen in den Blick genommen und umgesetzt, wie auch mit den Eltern und Angehörigen als relevanter Bildungsinhalt kommuniziert. In Praktika werden Rahmenbedingungen von Arbeit vor Ort erlebt, dokumentiert und ausgewertet. Eine Auseinandersetzung mit rechtlichen Bestimmungen und Rahmenbedingungen von Arbeit wird in der Schule strukturiert und vertieft.
Ergänzende Bereiche in Hinblick auf Berufsorientierung und Arbeit finden sich in unterschiedlichen Kompetenzfeldern der weiteren Lebensfelder (zum Beispiel Personales Leben, Selbstständiges Leben [hier vor allem Mobilität], Soziales und gesellschaftliches Leben [vor allem Kommunikation]) und werden mitbedacht, um der Komplexität des Lebensfeldes Arbeitsleben gerecht zu werden. Eine enge Verknüpfung zum Fach Wirtschaft und Berufsorientierung ist gegeben. Entsprechende Verknüpfungen finden sich in den jeweiligen Kompetenz- und Lebensfeldern.
Abbildung 1: Verflechtung Lebensfeld Arbeitsleben – Fächer (© Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg)
1.2 Kompetenzen
Prozessbezogene Kompetenzen
Die Schülerinnen und Schüler können ihre eigenen beruflichen Pläne und Interessen wahrnehmen, äußern und vertreten. Sie können in Praktika Erfahrungen sammeln, Anforderungen erkennen und haben Kriterien und Möglichkeiten, um sich zu äußern, ob ihnen ein Arbeitsplatz gefällt oder auch nicht, und werden dabei ernst genommen. Ein zentrales Ziel ist es, die erlebten Anforderungen mit Fähigkeiten und Neigungen abzugleichen und entsprechende Ziele mit oder ohne Unterstützung zu definieren und zu verfolgen. Die Schülerinnen und Schüler erleben sich als Akteure ihrer Zukunftsplanung und als selbstwirksam. Sie kennen geschützte Arbeitsstellen (zum Beispiel in einer Werkstatt für behinderte Menschen) und haben ebenso Einblick in Arbeitsangebote auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und entsprechende Unterstützungssysteme. Sie können als selbstbewusste Akteure ihrer Interessen und Träume auftreten und in Verhandlungen ihre Interessen einbringen.
Inhaltsbezogene Kompetenzen
Inhaltsbezogene Kompetenzen finden sich in den später ausführlicher beschriebenen Kompetenzfeldern:
- Grundhaltungen und Schlüsselqualifikationen
- Erfahrungen mit Arbeit und Berufsorientierung
- Rechtliche Rahmenbedingungen
1.3 Didaktische Hinweise
Kompetenzen aus dem Lebensfeld Arbeitsleben werden schulisch bereits in der Grundstufe angebahnt, wenn es beispielsweise um ritualisierte Aufgaben und Arbeiten im Klassenverband geht und die „Schlüsselqualifikationen“ im schulischen Alltag zum Thema werden. Mit Beginn der Hauptstufe beginnt verstärkt die Auseinandersetzung mit der eigenen Person und den individuellen Kompetenzen und Einschränkungen, mit den beruflichen Träumen, den Lebensvisionen und auch den Erwartungen der Lebenswelt. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Person und den Träumen ist unabdingbar, manchmal auch schmerzhaft und braucht Zeit im Unterrichtsgeschehen, um aufgearbeitet und auch dokumentiert zu werden. Eine Gegenüberstellung von Selbst- und Fremdeinschätzungen kann diesen Prozess unterstützen. Dieser Prozess begleitet die Schülerinnen und Schüler in der Hauptstufe wie auch der Berufsschulstufe. Träume müssen in der Realität hinterfragt und konkret über das eigene Handeln und Erleben überprüft werden. Eigene Entscheidungen der Jugendlichen spielen eine tragende Rolle um längerfristig stabile und tragfähige Lösungen zu erarbeiten und eine möglichst hohe Passung in der Arbeitswelt zu erreichen.
Unabdingbar ist das Praxiserleben von Berufen vor Ort. Das unmittelbare Erleben kann sich hin von Firmenbesuchen, über Praktika bis hin zur Tätigkeit in Schülerfirmen erstrecken und muss dokumentiert und gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern ausgewertet werden. Auch hier spielen die Rückmeldungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Praktikumsfirmen eine wesentliche Rolle. Hierbei sind vorbereitete Auswertungsmaterialien, die in einfacher Sprache verfasst sind beziehungsweise über Bilder und Symbolsysteme der Schülerin / dem Schüler wichtige Rückmeldungen zugänglich machen, eine wichtige Hilfe.