1.1 Bildungsgehalt des Faches Wirtschaft und Berufsorientierung
Die Schule unterstützt die Schülerinnen und Schüler dabei, den Übergang von der Schule ins Berufsleben zu gestalten. Diese Aufgabe stellt sich in verschiedenen Ausprägungen in allen Schulstufen und gleichermaßen an den sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ), in kooperativen Organisationsformen und in inklusiven Bildungsangeboten.
In der Alltagsstruktur der Schule werden Arbeitszeit und Freizeit erkennbar unterschieden. Innerhalb des Schullebens bietet die Schule an allen Standorten vielfältige Gelegenheiten, ohne oder mit Belohnung Aufgaben und Arbeiten zu übernehmen. Beispielhaft können dies regelmäßige Dienste im Klassenverband, Erledigungen im Schulhaus, Mithilfe bei schulischen oder außerschulischen Veranstaltungen wie auch die Mitarbeit in einer Schülerfirma sein. Diese beiden grundlegenden Prinzipien der Unterscheidung von Arbeit und Freizeit wie auch der Übernahme von Aufgaben und Arbeiten müssen in allen Stufen mit unterschiedlichen Ausprägungen in den Blick genommen und umgesetzt sowie mit den Eltern und Angehörigen als relevante Bildungsinhalte nach Möglichkeit gemeinsam abgesprochen werden.
Mit Blick auf das spätere Berufsleben ergeben sich für die Schülerinnen und Schüler vielfältige Möglichkeiten und Anforderungen, die ihnen richtungsweisende Entscheidungen abverlangen und entsprechende Unterstützung, Erprobung und Begleitung notwendig machen. Die Schule motiviert die Schülerinnen und Schüler, unterschiedliche berufliche Erfahrungs- und Handlungsfelder zu erproben, und vermittelt die Erfahrung, dass Arbeit nicht ohne Mühe und Anstrengung und ohne Berücksichtigung von Regeln erledigt werden kann.
Mit außerschulischen Partnern wie Werkstätten für behinderte Menschen, den Förder- und Betreuungsbereichen, Betrieben, Firmen, Dienstleistungsunternehmen, Integrationsamt und Integrationsfachdiensten sowie der Agentur für Arbeit kooperiert die Schule, um die Schülerinnen und Schüler bei ihrer Berufswegeplanung und bei der Entwicklung einer realistischen Berufsperspektive zu unterstützen. Sie nutzt dabei die regional vorhandenen Strukturen der beruflichen Qualifizierung, Rehabilitation und Integration und beteiligt sich an deren Weiterentwicklung.
Das Fach Wirtschaft und Berufsorientierung hilft den Schülerinnen und Schülern, ihre eigenen Fähigkeiten und Einschränkungen, Potenziale, Möglichkeiten und Interessen zu erkennen und bildet damit eine wichtige Grundlage für die spätere Berufswahl. Es besteht der schulische Auftrag, ihnen über
- vielfältige Praktika,
- die Entwicklung individueller Interessen und Fertigkeiten und
- die Kenntnis und Vermittlung gegebener Unterstützungssysteme
möglichst umfangreiche Einblicke in die Arbeitswelt wie auch in tagesstrukturierende Angebote zu vermitteln und Erkenntnisse über sich selbst zu ermöglichen. Die gemachten Erfahrungen werden fortlaufend gemeinsam mit den Jugendlichen aufgearbeitet, dokumentiert und dienen auch als Grundlage für Berufswegekonferenzen. Weiter spielen die Berücksichtigung der Lebenswelt der Jugendlichen, ihr familiärer Hintergrund und mögliche staatliche Hilfen als Unterstützungssystem im Hinblick auf die Berufsorientierung eine wichtige Rolle.
Vorrangiges Ziel im Sinn einer Anschlussorientierung ist die Erarbeitung und Entwicklung von möglichst verlässlichen beruflichen Perspektiven im Hinblick auf das Leben nach der Schule. Entscheidungen im Zug der Berufsorientierung müssen in einem prozesshaften Verständnis beweglich und veränderbar bleiben. Auch für Menschen, die gegenwärtig kaum „wirtschaftlich verwertbare Arbeit“ verrichten können, ist der Übergang in Förder- und Betreuungsbereiche der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) vorzubereiten.
Für inklusiv oder in kooperativen Organisationsformen beschulte Schülerinnen und Schüler sind vergleichbare Möglichkeiten der Berufsorientierung anzubieten. Nach Bedarf werden entsprechende Zeitfenster auch im gemeinsamen Unterricht vorgesehen.
Im Fach Wirtschaft und Berufsorientierung sehen und erleben sich die Schülerinnen und Schüler als Mitwirkende in wirtschaftlichen Wirkungszusammenhängen und Funktionsweisen. Die Schule thematisiert Arbeit in ihren verschiedenen Formen von Erwerbsarbeit, Eigenarbeit sowie Ehrenamt, mit und ohne Lohn und zeigt die Bedeutung von Arbeit für die Selbstverwirklichung auf. Indem die Schule den Schülerinnen und Schülern Wege zur Teilhabe an der Arbeitswelt eröffnet, ermöglicht sie ihnen gesellschaftliche Anerkennung und – wenn auch nur teilweise – finanzielle Unabhängigkeit und somit auch Teilhabe und Aktivität in der Konsumwelt. Die Schule stellt Erfahrungsfelder zur Verfügung, in denen die Schülerinnen und Schüler lernen, mit vorgegebenen Budgets hauszuhalten und Konsumbedürfnisse anzupassen. Sie können mögliche Verhaltensweisen bei ihren Konsumentscheidungen und ihre Rolle als Konsumentinnen und Konsumenten auf dem Gütermarkt erkennen und einschätzen.
1.2 Kompetenzen
Die Schülerinnen und Schüler erleben in der Schule und in Praktika aktiv Arbeitsprozesse, planen und führen diese durch und reflektieren ihre Ergebnisse und Kompetenzen beziehungsweise sich ergebende Lern- und Entwicklungsfelder. Hierbei erleben sie die Bedeutung dieser Arbeitsprozesse und setzen sie in Bezug zu späteren, möglichen beruflichen Perspektiven. Im Zug von Praktika und in der Aufarbeitung in der Schule lernen die Schülerinnen und Schüler rechtliche Bestimmungen und Rahmenbedingungen von Arbeit kennen. Sie betätigen sich in Arbeitsfeldern mit und ohne Lohn und erfahren in beiden Bereichen die Befriedigung durch ihre eigene Teilhabe und Aktivität wie auch die erzielten Ergebnisse.
Im vorliegenden Bildungsplan stehen notwendige Kompetenzen im Hinblick auf Berufsorientierung und eine nachschulische Berufstätigkeit im Vordergrund. In verschiedenen (stufenübergreifenden) Kompetenzfeldern wird dies ausführlicher beschrieben:
- Praktische Arbeitsprozesse erleben und durchführen
- Berufsorientierung und Berufsfindung (Institutionaler Aspekt von Arbeit)
- Arbeit mit und ohne Lohn
- Einkauf, Verkauf, Geld und Konsum
Zu beachten ist dabei vor allem das Lebensfeld Arbeitsleben, das das Fach Wirtschaft und Berufsorientierung um weitere, wichtige Kompetenzfelder ergänzt:
- Grundhaltungen und Schlüsselqualifikationen (Personaler und sozialer Aspekt von Arbeit)
- Erfahrungen mit Arbeit und Berufsorientierung (Institutionaler Aspekt von Arbeit)
- Rechtliche Rahmenbedingungen von Arbeit
Abbildung 1: Verflechtung Lebensfelder – Fach Wirtschaft und Berufsorientierung (© Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg)
1.3 Didaktische Hinweise
Berufsorientierung wird bereits mit einzelnen Kompetenzen in der Grundstufe zum Thema, wenn es beispielsweise um ritualisierte Aufgaben und Arbeiten im Klassenverband geht und die „Schlüsselqualifikationen“ im schulischen Alltag ein Anwendungsfeld finden. In der Sekundarstufe beginnt verstärkt die Auseinandersetzung mit der eigenen Person und den individuellen Kompetenzen und Einschränkungen, mit den beruflichen Träumen, den Lebensvisionen und auch den Erwartungen der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Person und den eigenen Träumen ist unabdingbar, manchmal auch schmerzhaft und braucht Zeit im Unterrichtsgeschehen, um aufgearbeitet und auch dokumentiert zu werden. Eine Gegenüberstellung von Selbst- und Fremdeinschätzungen kann diesen Prozess unterstützen. Dies begleitet die Schülerinnen und Schüler in der Hauptstufe, und vertieft in der Berufsschulstufe. Visionen sind notwendig und müssen gegebenenfalls in beruflichen Erfahrungsfeldern überprüft werden. Eigene Entscheidungen der Jugendlichen spielen eine tragende Rolle, um längerfristig stabile und tragfähige Lösungen zu erarbeiten und eine möglichst hohe Passung in der Arbeitswelt zu erreichen.
Das unmittelbare Erleben kann sich von Firmen-Besuchen über Praktika bis hin zur Tätigkeit beispielsweise in Schülerfirmen erstrecken und wird dokumentiert und gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern ausgewertet. Hier spielen die Rückmeldungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Praktikumsfirmen eine wesentliche Rolle. Vorbereitete Auswertungsmaterialien, die in einfacher Sprache verfasst sind oder Bilder und Symbolsysteme nutzen, machen den Schülerinnen und Schülern die Rückmeldungen aus den Praktikumsstellen zugänglich und dienen gleichzeitig als Dokumentation.