1.1 Bildungsgehalt des Lebensfelds Personales Leben
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Individualität sowie die Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit stehen im Mittelpunkt dieses Lebensfelds. Beides wird dabei nicht nur als lernförderliche Voraussetzung für alle weiteren schulischen Bildungsprozesse betrachtet, sondern stellt selbst ein ausgewiesenes Bildungsziel im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung dar. Die Schülerinnen und Schüler erfahren ihr Selbst in Abgrenzung zu anderen, entfalten ihre Identität, reflektieren ihr subjektives Erleben der Welt, des eigenen Körpers und der eigenen Gefühle. Sie nehmen ihr Eingebundensein in die individuelle Lebensgeschichte wahr und beschäftigen sich auf dieser Grundlage mit ihren Wünschen und Bedürfnissen. Sie entwickeln Visionen und Perspektiven für die Zukunft sowie eigene Haltungen und Einstellungen dem Leben gegenüber. Auf dem Weg der Persönlichkeitsentwicklung ermöglichen die Lehrkräfte den Schülerinnen und Schülern eine aktive Auseinandersetzung mit ihren persönlichen Merkmalen, Stärken und Beeinträchtigungen und fördern so die Annahme und Akzeptanz der eigenen Person und die Entwicklung eines positiven Selbstbilds. Dazu gehört auch ein gelingender Umgang mit Misserfolg sowie die Reflexion über entsprechende Bewältigungsstrategien.
Ein weiterer Aspekt dieses Lebensfelds umfasst Kompetenzen im Bereich Selbstständigkeit und Selbstbestimmung, die die Schülerinnen und Schüler darin unterstützen, möglichst autonom Entscheidungen treffen zu können sowie im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.
Beitrag des Lebensfelds zu den Fächern
Das Lebensfeld Personales Leben durchzieht alle Fächer und alle weiteren in diesem Bildungsplan genannten Lebensfelder. Die darin genannten Kompetenzen werden einerseits als Voraussetzung gelingenden Lernens verstanden. Gleichzeitig benötigen sie einen inhaltlich-fachlichen Rahmen und eine prozessbezogene Auseinandersetzung, um ausgebildet werden und sich entwickeln zu können. Der Blickwinkel dieses Lebensfelds liegt auf der eigenen Person, der Auseinandersetzung mit eigenen Wahrnehmungen, Wirksamkeitserfahrungen, Kontroll- und Steuerungsmechanismen und damit auf der Entwicklung der eigenen Identität. Hierfür ist ein Austausch mit anderen Menschen und die inhaltliche Beschäftigung mit unterschiedlichen Themen unabdingbar. So ergibt sich die Notwendigkeit einer engsten Verzahnung aller in diesem Lebensfeld genannten Kompetenzspektren zu sämtlichen weiteren Lebensfeldern sowie zu den Fächern.
Abbildung 1: Verflechtung Lebensfeld Personales Leben – Fächer (© Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg)
1.2 Kompetenzen
Das Lebensfeld Personales Leben beschreibt vier Kompetenzfelder, die untereinander nicht hierarchisch, sondern als gleichwertige Teilbereiche einer Persönlichkeitsentwicklung verstanden werden. Im Sinne eines bio-psycho-sozialen Ansatzes wird dabei deutlich, dass in allen Teilbereichen Wechselwirkungsprozesse mit der Umwelt bei der Entwicklung der jeweiligen Aspekte eine zentrale Rolle spielen, die vier Kompetenzfelder selbst aber auch in einer sich gegenseitig beeinflussenden Wirkweise verstanden werden müssen.
Wahrnehmung der eigenen Person
Im Kompetenzfeld „Wahrnehmung der eigenen Person“ werden Kompetenzen gebündelt, die es den Schülerinnen und Schülern erlauben, ihren Körper mit all seinen individuellen Merkmalen sowie eigene Emotionen, Bedürfnisse und Gedanken in unterschiedlichen Situationen wahrzunehmen, auszudrücken und zu reflektieren. Dazu gehört auch das Erleben von und der Umgang mit individuellen Fähigkeiten und Grenzen.
Selbstregulation und Selbststeuerung
Das Kompetenzfeld „Selbstregulation und Selbststeuerung“ umfasst Kompetenzen, die dazu führen, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Aufmerksamkeit und Emotionen, eigene Impulse sowie ihr Handeln an die Anforderungen einer Situation anpassen und somit bewusst steuern können. Der Einsatz von Selbstkontrollstrategien im Sinn einer aktiven Veränderung der eigenen emotionalen und mentalen Befindlichkeiten ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, persönliche Ziele bestmöglich verfolgen zu können.
Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung
Das Wissen und Vertrauen darauf, Situationen aus eigener Kraft und anhand persönlicher Fähigkeiten bewältigen und beeinflussen zu können, ist Bestandteil des Kompetenzfelds „Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung“. Die Erfahrung und das Vertrauen darauf, dass das eigene Handeln Auswirkungen hat, Umwelt und Leben beeinflussen kann, erweitert darüber hinaus die Möglichkeiten der Selbstbestimmung.
Identität und Selbstbild
Der Bereich „Identität und Selbstbild“ beinhaltet zwei Kompetenzfelder. Zum einen werden hier Kompetenzen gebündelt, die die bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit durch die Integration gemachter Erfahrungen, Selbstannahmen und angenommenen Fremdbildern ermöglichen. Die Beschäftigung mit existenziellen Fragen und Lebenshaltungen, mit der eigenen Lebensgeschichte und Familie spielen hierfür eine große Rolle.
Zum anderen dienen die Kompetenzen im Lernbereich „Körperlichkeit und Sexualität“ dazu, die Schülerinnen und Schüler in der Entwicklung eines selbstbestimmten und achtungsvollen Umgangs mit Körperlichkeit, mit den unterschiedlichen Geschlechtern wie auch mit eigenen und fremden sexuellen Wünschen zu unterstützen. Auf diese Weise werden sie in die Lage versetzt, in Bezug auf Sexualität und Partnerschaft Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen.
1.3 Didaktische Hinweise
Die Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler in der Schule zu begleiten und zu unterstützen, ist eine zentrale Aufgabe der Lehrkräfte. Dabei spielt nicht zuletzt deren eigene Grundhaltung, ihr Menschenbild sowie das Wissen über die Entwicklung, Funktionen und Aufgaben der Psyche eine wichtige Rolle. Die Schülerinnen und Schüler im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung erleben sich selbst in etlichen Belangen als weniger wirksam als Gleichaltrige. Ein positives Wahrnehmen und Erleben der eigenen Person aufzubauen, Zutrauen in die eigene Wirksamkeit zu entwickeln, erfolgreich Anforderungen zu bestehen, aber auch mit Scheitern zurechtzukommen, eigene Entscheidungen zu treffen und das eigene Handeln abzuwägen, sind daher bedeutsame Entwicklungsfelder für die Schülerinnen und Schüler, aber auch didaktische Herausforderungen für die Lehrkräfte. Die Lehrkräfte begegnen diesen Herausforderungen in der Begleitung der Persönlichkeitsentwicklung durch eine bedingungslose Annahme der Schülerinnen und Schüler. Gelingendes wird fokussiert in den Blick genommen und kontinuierlich zurückgemeldet. Misserfolge werden wertfrei analysiert und reflektiert, um daraus Handlungsalternativen zu entwickeln. Eine strikte Trennung von Person und Handlung in der Reflexion und im Feedback erlaubt, auch Nichtgelingendes anzusprechen und in eine positive Persönlichkeitsentwicklung zu integrieren. Die Lehrkräfte planen ausgehend von dieser Grundhaltung Bildungsangebote, die die Schülerinnen und Schüler angemessen herausfordern, ohne zu überfordern, und bieten Begleitung und Reflexion, um positive Lern- und Wirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen. Die Auswahl der Lerninhalte berücksichtigt die aktuelle Lebenssituation der Schülerinnen und Schüler, deren Fragestellungen, Lebensalter und individuellen Entwicklungsstand. Die Auseinandersetzung mit den im Lebensfeld genannten Kompetenzen erfolgt dabei nicht isoliert, sondern durchzieht jeden Unterricht, unabhängig von den inhaltlich-fachlichen Kompetenzen und auf allen Aneignungsebenen. Gleichzeitig sind die Lehrkräfte gefordert, passende Kompetenzbereiche aus ausgewählten Fächern in Bezug auf den Ausbau der hier genannten Kompetenzen zu prüfen, auszuwählen und gezielt in Bildungsangebote umzusetzen, die die Entfaltung der Persönlichkeit und die Entwicklung eines positiven Selbstbilds begünstigt. Aus diesem Grund wird in diesem Lebensfeld auf Verweise auf Teil C verzichtet.
Um auch den Schülerinnen und Schülern, die nicht verbal kommunizieren, Teilhabe, Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen, ist eine unmittelbare Reaktion vonseiten der Lehrkräfte auf deren Äußerungen sowie der Einsatz individueller Hilfsmittel aus dem Bereich der Unterstützten Kommunikation unerlässlich.
Im Lernbereich „Körperlichkeit und Sexualität“ verbinden sich Sachwissen und situationsangemessene Kommunikation über Themen, die sich aus Fragestellungen und Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler ergeben. Eine entscheidende Rolle spielt hier eine Lernatmosphäre, die die Individualität und Autonomie der Schülerinnen und Schüler anerkennt und unterstützt, und die das Sprechen über intime Fragen unter Wahrung der Privat- und Intimsphäre ermöglicht. Dazu gehört auch die Bereitschaft der Lehrkräfte, sich mit den Themen der Schülerinnen und Schüler auseinanderzusetzen und Verständnis für deren sexuelle Handlungen und Neigungen zu zeigen.