1.1 Bildungsgehalt des Lebensfelds Soziales und gesellschaftliches Leben
Bedingungen für das Gelingen des Umgangs mit anderen Menschen und der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu thematisieren, ist eine grundlegende Bildungs- und Erziehungsaufgabe der Schule. Den Schülerinnen und Schülern werden durchgängig alters- und entwicklungsangemessene Zugänge zu den unterschiedlichen Dimensionen des gesellschaftlichen Lebens ermöglicht. Sie lernen, Beziehungen zu gestalten, zu kommunizieren und im Sinn der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Gesellschaft zu handeln.
Die Schule unterstützt die Schülerinnen und Schüler, Beziehungen mit unterschiedlichen Menschen, in der Familie, in der Wohngemeinschaft, in der Freizeitgestaltung, im öffentlichen Leben und in der Schule erfolgreich aufzubauen und zu pflegen. Das Zusammensein in der Klassen- und Schulgemeinschaft bietet vielfältige Möglichkeiten, Beziehungen zu gestalten und Rollenerfahrungen zu machen.
Den Schülerinnen und Schülern die Weiterentwicklung ihrer kommunikativen Kompetenzen zu ermöglichen, ist von fundamentaler Bedeutung für die Beziehungsgestaltung, für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und für die Auseinandersetzung mit der Welt. Kommunikation ist immanenter Bestandteil schulischen Lernens. Die Schülerinnen und Schüler finden in der Schule ein Umfeld vor, welches von der Grundhaltung des Verstehenwollens geprägt ist und Kommunikation initiiert und unterstützt. Sie lernen, sich auszudrücken und damit in Beziehung mit dem jeweiligen Gegenüber zu treten. Das vielfältige In-Beziehung-Treten eröffnet wiederum Anlässe, um die Bedeutung von Kommunikation zu erkennen, kommunikative Kompetenzen zu erweitern sowie Verständigungsprozesse zu initiieren und zu reflektieren.
Kommunikation ist unabdingbar für die Vermittlung von Welt und Kultur. Der Austausch mit anderen ermöglicht den Schülerinnen und Schülern, Konzepte auszubilden, Wissen zu erschließen und Kompetenzen zu erwerben. Die Schule gestaltet in Schulalltag und Unterricht Lernsituationen und Lernumgebungen, in denen die Schülerinnen und Schüler miteinander und voneinander lernen können. Indem sie durch den Austausch mit anderen Erfahrungen über sich selbst machen, ist dies immer auch ein Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung.
Das Leben in der Schul- und Klassengemeinschaft ist von der bewussten Wahrnehmung des Anderen auch in seinem Anderssein sowie der konstruktiven Bearbeitung von Differenzen geprägt. Die Schule trägt dazu bei, dass die Schülerinnen und Schüler in einer pluralisierten Gesellschaft lernen, mit Menschen mit unterschiedlichen sozialen, religiösen, ethnischen und nationalen Hintergründen in verschiedenen Situationen zusammenzuleben und ihre individuelle Verschiedenheit angemessen zu achten. Abgrenzung und Ausgrenzung werden thematisiert und Handlungsmöglichkeiten erarbeitet.
Umgangs- und Kommunikationsformen sowie demokratische Grundhaltungen und Regeln werden im schulischen Zusammenleben erlernt und gelebt. Möglichkeiten demokratischer Entscheidungsfindung sind im Schulleben konzeptionell angelegt. Auf diese Weise bietet die Schule den Schülerinnen und Schülern Handlungsfelder für die eigene Meinungsbildung, Einflussnahme und politische Mitwirkung. Die Schule ermutigt und unterstützt die Schülerinnen und Schüler darin, Verantwortung in Schulgemeinschaft und Gesellschaft zu übernehmen und ihre Interessen begründet und angemessen zu vertreten.
Der Bedeutung von Medien zur Kommunikation, sozialen Teilhabe und Interaktion, als Hilfsmittel, zur Freizeitgestaltung sowie zur Informationsbeschaffung und Meinungsbildung wird Beachtung geschenkt. Medienkonsum und Kommunikation mit Medien prägen die Lebenswelt vieler Schülerinnen und Schüler. Die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten (zum Beispiel über das Smartphone und soziale Netzwerke im Internet) sorgen dafür, dass sich neue kulturelle Formen und Muster des sozialen Umgangs ausbilden. Medien und Geräte entwickeln sich ständig weiter und bieten damit verbunden auch neue Anforderungen und Möglichkeiten. Ein verantwortungsvoller, kompetenter und kritischer Umgang, die Kenntnis der Nutzungsmöglichkeiten und Spielräume, aber auch der Gefahren sind somit unverzichtbar.
Das gesellschaftliche Gefüge unterliegt in einer globalen Welt dauerhaft komplexen Veränderungen. Um den Schülerinnen und Schülern eine Auseinandersetzung mit diesen Veränderungen zu ermöglichen, ist unter anderem eine kontinuierliche Reflexion dieser Prozesse seitens der Lehrkräfte unabdingbar. Hierzu zählt auch eine Auseinandersetzung mit den eigenen Grundhaltungen und Werten. Hierzu gehören insbesondere Fragen des Zusammenlebens in Vielfalt sowie des sozial und ökologisch verantwortlichen Lebens. Die Lehrkräfte und weitere schulische Partner begleiten und ermutigen die Schülerinnen und Schüler in ihren Fragen, ihrer Auseinandersetzung mit Grundhaltungen und Werten, Normen und Weltanschauungen und damit in ihrer Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft.
Beitrag des Lebensfelds zu den Fächern
Das Lebensfeld Soziales und gesellschaftliches Leben durchzieht alle Fächer und alle weiteren in diesem Bildungsplan aufgeführten Lebensfelder. Die darin genannten Kompetenzen werden einerseits als Voraussetzung gelingenden Lernens verstanden. Gleichzeitig benötigen sie einen inhaltlich-fachlichen Rahmen und eine prozessbezogene Auseinandersetzung, um ausgebildet werden und sich entwickeln zu können. Der Schwerpunkt dieses Lebensfelds liegt auf dem sozialen Lernen in unterschiedlichsten Kontexten, der Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und Grundhaltungen, mit dem Gegenüber, mit dem Leben in sozialen Gruppen, mit Demokratie und dem Miteinander in unserer Gesellschaft. Hierfür ist ein Austausch mit anderen Menschen und die inhaltliche Beschäftigung mit unterschiedlichen Themen unabdingbar. So ergibt sich die Notwendigkeit einer engsten Verzahnung aller in diesem Lebensfeld genannten Kompetenzfelder zu sämtlichen weiteren Lebensfeldern sowie den Fächern.
Abbildung 1: Verflechtung Lebensfeld Soziales und gesellschaftliches Leben – Fächer (© Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg)
1.2 Kompetenzen
Das Lebensfeld Soziales und gesellschaftliches Leben beschreibt fünf Bereiche. Drei Bereiche sind in weitere Kompetenzfelder aufgegliedert:
- Grundhaltungen und Werte
- Beziehungen gestalten und pflegen
- Beziehungen (mit-)gestalten
- Mit anderen zusammenleben
- Partnerschaftliche Beziehungen eingehen und leben
- Kommunikation
- In Beziehungen treten – Beziehungen gestalten
- Gespräche führen
- Wünsche und Bedürfnisse äußern
- Sich beteiligen – Informationen weitergeben und präsentieren
- Demokratie lernen und leben
- Medienwissen und Medienhandeln
- Reflexion über Medien
- Kommunikation mithilfe von Medien
- Medien und Freizeit
- Unterstützung der Selbstständigkeit durch technische Assistenz
Die beschriebenen Kompetenzen sind zum Teil inhalts-, aber auch prozessbezogen. Da die Themen aus den Lebensfeldern immer auch mit den Fächern verbunden werden, gelten hier auch die entsprechenden prozessbezogenen Kompetenzen aus dem jeweiligen Fach.
Die beschriebenen Kompetenzen und Kompetenzfelder stehen in keinem hierarchischen Verhältnis, sondern werden als gleichwertige Teilbereiche verstanden. Im Sinne eines bio-psycho-sozialen Ansatzes wird dabei deutlich, dass in allen Teilbereichen Wechselwirkungsprozesse mit der Umwelt bei der Entwicklung der jeweiligen Aspekte eine zentrale Rolle spielen. Die Kompetenzfelder selbst müssen ebenfalls in einer sich gegenseitig beeinflussenden Wirkweise verstanden werden.
1.3 Didaktische Hinweise
Die Schule bietet den Schülerinnen und Schülern ein großes Feld an sozialen Erfahrungen in verschiedenen Alltagssituationen. Die Lehrkräfte greifen diese bewusst als Lerninhalte auf, um die Kommunikations- und Interaktionsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu stärken und gemeinsam mit ihnen Handlungsmöglichkeiten innerhalb sozialer Beziehungen zu entwickeln, diese zu erproben und das eigene Verhalten zu reflektieren. Der Fokus liegt hierbei zum einen auf dem Gefühl des sozialen Eingebundenseins, zum anderen darauf, am gemeinschaftlichen Leben aktiv mitzuwirken und dabei Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Lernprozesse werden so gestaltet, dass die Schülerinnen und Schüler darin selbstbestimmtes sowie partnerbezogenes Handeln zeigen können. Die Lehrkräfte schaffen im Unterricht eine Atmosphäre der Zuversicht, des Vertrauens und des Verstehenwollens und gestalten Alltags- und Unterrichtssituationen, die dialogisch, kooperativ und handlungsoffen aufgebaut sind. Die Schülerinnen und Schüler erhalten ausreichend Zeit und Gelegenheit für gemeinschaftliche Aktivitäten, in denen soziale Interaktionen zum Tragen kommen und geübt werden können. Wahrnehmungen, Äußerungen und Handlungen von den Schülerinnen und Schülern werden aufgenommen und mit einer wertschätzenden, einfühlsamen Grundhaltung gedeutet. Dabei spielt die Interpretation der kommunikativen Funktion von nonverbalen und verbalen Signalen der Schülerinnen und Schüler eine ebenso große Rolle wie auch die Reflexion der eigenen Reaktionen darauf. Im Rahmen des Lernbereichs „Kommunikation“ werden die Schülerinnen und Schüler mit individuellen Mitteln der Unterstützten Kommunikation vertraut gemacht, wobei es wichtig ist, Kommunikationshilfen so früh wie möglich und in enger Zusammenarbeit mit den Eltern einzusetzen, um dauerhafte Lernerfolge zu erzielen. Die Lehrkräfte unterstützen die Schülerinnen und Schüler bei der Entwicklung kommunikativer Kompetenzen, indem sie auch im Bereich Unterstützte Kommunikation als sprachliche Vorbilder fungieren und diese als gemeinsame Sprache genutzt wird. Im Unterricht sind ausreichend Zeit zum Reagieren und eine vertrauensvolle Beziehung zwischen den Schülerinnen und Schülern und der Lehrkraft Voraussetzungen für gelingende Lernprozesse. Die Lehrkräfte setzen Sprache bewusst und individuell angepasst ein und verwenden gezielt para- und nonverbale Gestaltungsmittel. Kommunikative Strategien, Lautsprache, Gebärden und unterstützende Hilfen sind Bestandteil jeder Lernsituation.
Die Unterrichtsinhalte im Bereich „Demokratie lernen und leben“ zielen darauf ab, unsere freiheitlich demokratische Gesellschaftsordnung für die Schülerinnen und Schüler nachvollziehbar zu machen. Gleichheit und Gerechtigkeit sollen von den Schülerinnen und Schülern als Grundprinzipien des Zusammenlebens in Deutschland verstanden und anerkannt werden. Die Lehrkräfte ermutigen in diesem Rahmen zu selbstständigem Entscheiden und Handeln und geben Rückmeldungen. Dabei agieren sie als verlässliches soziales Vorbild, indem sie Regeln und Grenzen aufzeigen und ihre Einhaltung vorleben.
Lernprozesse in diesem Bereich finden auf unterschiedlichen Ebenen statt, angefangen mit dem Schaffen von Möglichkeiten für alle Schülerinnen und Schüler, die eigene Meinung bezüglich ihrer Bedürfnisse, Wünsche und Ideen zu äußern und deren Berücksichtigung zu erleben, bei den Wahlen zum Klassen- oder Schülersprecher teilzunehmen, sich zu informieren über das politische Geschehen am Schul- oder Heimatort, bis hin zu den politischen Strukturen und Regierungsformen in Deutschland.