Politische Bildung beginnt in der Schule ab der ersten Klasse. Die prozess- und inhaltsbezogenen Kompetenzen politischer Bildung gliedern sich in das Fach Sachunterricht – Demokratie und Gesellschaft und das Fach Gemeinschaftskunde und sind im Zusammenhang zu verstehen. Hierbei wird auch die Altersentsprechung von Kompetenzen und Inhalten berücksichtigt. Entsprechende Verknüpfungen finden sich in den jeweiligen Kompetenzfeldern.
1.1 Bildungsgehalt des Faches Gemeinschaftskunde
Die Schülerinnen und Schüler zu demokratischem Denken und Handeln zu befähigen und zu ermutigen, ist die wichtigste Aufgabe der politischen Bildung, aber auch der Schule insgesamt. Gemeinschaftskunde ist nach der Landesverfassung ordentliches Lehrfach in allen Schulen (Art. 21 Abs. 2 Verfassung des Landes Baden-Württemberg).
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Person, ihren Lebenserfahrungen und Lebensperspektiven befähigt die Schülerinnen und Schüler, Verantwortung für sich zu übernehmen und für die eigenen Interessen einzustehen. Im Unterricht erfährt die persönliche Perspektive ihre Einordnung in Gemeinschaft und Gesellschaft. Die Regelungen und Vereinbarungen des Zusammenlebens werden in den Kontext von Grund- und Menschenrechten sowie der demokratischen Grundordnung gestellt. Grundlegend ist die Einsicht, dass Freiheit und Verantwortung konstitutive Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind, die es zu sichern und weiterzuentwickeln gilt. Die Achtung der Menschenwürde, die Ausbildung von Toleranz und der Abbau von Vorurteilen haben eine besondere Bedeutung. Damit leistet der Unterricht einen wertvollen Beitrag zur Wertebildung und unterstützt die Schülerinnen und Schüler dabei, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.
Das grundlegende Verständnis demokratischer Entscheidungsfindung ermöglicht den Schülerinnen und Schülern, ihre Anliegen einzubringen, sich als selbstwirksam zu erleben und Gemeinschaft verantwortlich mitzugestalten.
Gemeinschaftskunde greift Fragen der Schülerinnen und Schüler und Themen des aktuellen Zeitgeschehens auf, um die Orientierung der Schülerinnen und Schüler in der globalisierten Gesellschaft zu vergrößern.
Fachwissen über politische Prinzipien und Institutionen sowie die Struktur der staatlichen Ordnung in Deutschland sind die Grundlage, auf der die Schülerinnen und Schüler Kompetenzen politischen Handelns entwickeln. Sie lernen, politische und soziale Entwicklungen und Entscheidungen wahrzunehmen, zu analysieren, über diese kriterienorientiert zu urteilen und eigene Meinungen auszubilden und zu vertreten. Auch die Fähigkeit, mit den Herausforderungen der Demokratie, insbesondere Toleranz gegenüber anderen Meinungen, umgehen zu können, erweitert die politische Handlungskompetenz der Schülerinnen und Schüler.
Die gesellschaftliche Teilhabe erfährt dann ihre Entsprechung, wenn die Schülerinnen und Schüler fähig sind, eigene Interessen zu vertreten, respektvoll in der Gemeinschaft zusammenzuleben und Gesellschaft und Demokratie mitzutragen und mitzugestalten.
Die Schule bietet den Schülerinnen und Schülern den Raum, diese Kompetenzen zu entwickeln. Sie gesteht allen Schülerinnen und Schülern als „Experten in eigener Sache“ regelmäßige, ernsthafte Partizipation zu und bindet dies nicht an Voraussetzungen. Damit leistet die Schule einen wertvollen Beitrag zur Demokratiebildung und setzt sich mit Partizipation als pädagogischem Prinzip auseinander.
Politische Bildung vollzieht sich auch in Lebensfeldern, die unmittelbarer Erfahrungsraum für die eigene Persönlichkeitsentwicklung, das Zusammenleben in der Gesellschaft und das politische Handeln sind. Die Lebensfelder Personales Leben (PER) und Soziales und gesellschaftliches Leben (SOZ) finden hier besondere Beachtung. Entsprechende Verknüpfungen finden sich in den jeweiligen Kompetenz- und Lebensfeldern.
Abbildung 1: Verflechtung Lebensfelder – Fach Gemeinschaftskunde (© Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg)
1.2 Kompetenzen
1.2.1 Inhaltsbezogene Kompetenzen
Der vorliegende Bildungsplan strukturiert die inhaltsbezogenen Kompetenzen nach den Bereichen „Gesellschaft“, „Recht“, „Politisches System“ und „Internationale Beziehungen“. Die inhaltsbezogenen Kompetenzen verdeutlichen, mit welcher thematischen Ausrichtung die prozessbezogenen Kompetenzen erworben werden sollen. Die Schülerinnen und Schüler werden mit immer komplexeren Fragestellungen konfrontiert. Bei der Urteilsbildung müssen sie sich zunehmend mit anspruchsvolleren Fragestellungen auseinandersetzen, dabei zunehmend unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen und vielfältige Kriterien anwenden, um immer differenziertere Urteile fällen zu können. Inhalts- und prozessbezogene Kompetenzen stehen hierbei gleichberechtigt nebeneinander und bedingen sich gegenseitig.
1.2.2 Prozessbezogene Kompetenzen
Analyse- und Urteilskompetenz
Die Schülerinnen und Schüler verstehen Politik als kollektiven und konfliktbehafteten Prozess der Problembearbeitung. Sie können persönliche und sachliche Kriterien unterscheiden und auf Basis dessen Sach-, Problem- und Konfliktlagen mehrperspektivisch erfassen und beurteilen. Auf der Grundlage ihrer fundierten Analyse sollen die Schülerinnen und Schüler zu politischen Fragen und Problemen eigene Positionen entwickeln.
Handlungskompetenz
Oberstes Ziel der politischen Bildung ist die Förderung des mündigen Bürgers, der politisch interveniert und sich so „in seine eigenen Angelegenheiten einmischt“ (Max Frisch).
Die Schülerinnen und Schüler können ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen wahrnehmen, äußern und vertreten. Sie können die Perspektive anderer wahrnehmen, erkennen und sich in sie hineinversetzen. Ein zentrales Ziel des Gemeinschaftskundeunterrichts ist es, dass sich die Schülerinnen und Schüler als selbstwirksam erleben, denn nur mit genügend Selbstvertrauen treten sie in Verhandlung für eigene Interessen. Politisches Handeln umfasst einerseits kommunikatives politisches Handeln, also das Artikulieren, Argumentieren und Verhandeln eigener Interessen. Dies spielt eine zentrale Rolle im Gemeinschaftskundeunterricht. Andererseits beinhaltet es auch aktives, partizipatives politisches Handeln (zum Beispiel die freiwillige Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen und die Teilnahme an Protesten). Im Gemeinschaftskundeunterricht können die Schülerinnen und Schüler Handlungsfähigkeiten entwickeln und sie werden zudem auf den Umgang mit demokratischen Prozessen vorbereitet, zu denen auch Geduld und der Umgang mit Niederlagen und Kompromissen gehört.
Methodenkompetenz
Die Schülerinnen und Schüler können sich über politische und gesellschaftliche Fragen informieren. Sie kennen verschiedene Quellen, um Informationen zu gewinnen und können diese zunehmend besser quellenkritisch betrachten und bewerten. Dabei ist der kritische Umgang mit verschiedenen Medien von zentraler Bedeutung, auch um verschiedene Informationen miteinander vergleichen zu können.
1.3 Didaktische Hinweise
Für didaktische Überlegungen im Fach Gemeinschaftskunde ist die Auseinandersetzung mit Dimensionen (polity, policy, politics) und Definitionen des Begriffs „Politik“ hilfreich. Politik lässt sich im engeren Sinn als staatlich-administratives (politisches) und im weiteren Sinn als gesellschaftliches (soziales) Phänomen betrachten.
Die Schülerinnen und Schüler erleben Politik im Zusammenleben mit anderen und entwickeln inner- und außerhalb der Schule Vorstellungen davon, was Politik ist. Der Gemeinschaftskundeunterricht knüpft an die Vorerfahrungen und Wissenskonzepte der Schülerinnen und Schüler an, mit denen sie sich die Welt erklären und politische Phänomene interpretieren. Erfahrungen, Vorwissen und Vorverständnis der Lernenden werden im Unterricht durch neues Fachwissen strukturiert, qualitativ verbessert oder erweitert. Konstruktion und Instruktion bedingen und ergänzen einander.
Entsprechend der Staatsform in Deutschland ist die Demokratie der normative Bezugspunkt politischen Lernens. Demokratie lässt sich nach Gerhard Himmelmann in drei Dimensionen denken. Die erste Dimension eines demokratischen Systems, mit der junge Menschen in Kontakt treten, ist Demokratie als Lebensform. Das Zusammenleben mit anderen ist unmittelbarer Erfahrungsraum demokratischer Werte und Prinzipien. In der Schule werden demokratische Verhaltens- und Konfliktlösungsmuster gelernt, die von den Schülerinnen und Schülern auf die Lösung gesellschaftlicher Probleme übertragen werden können.
Die zweite Dimension der Demokratie ist Demokratie als Gesellschaftsform. Die Schülerinnen und Schüler erleben diese als Mitglieder einer pluralistischen Gesellschaft. Die Schule eröffnet Erfahrungsräume demokratischer Mitbestimmung und Mitverantwortung. Im Gemeinschaftskundeunterricht werden Fragen der Schülerinnen und Schüler aufgegriffen, aus gesellschaftlicher Perspektive betrachtet und in den Zusammenhang politischer Sachverhalte gestellt.
Die dritte Dimension der Demokratie ist Demokratie als Herrschaftsform. Darunter werden politische Prinzipien (Volkssouveränität, Rechtsstaat, Schutz der Grundrechte) ebenso gefasst wie Institutionen (Gemeinderat, Bundestag, Gerichte) und Funktionen des Staates.
Im Gemeinschaftskundeunterricht werden abstrakte Begriffe über das konkrete Erleben und Handeln erschlossen, hinsichtlich ihrer sozialen und politischen Dimensionen differenziert betrachtet und in zunehmend komplexeren Themenbereichen analysiert. Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten sich grundlegende Vorstellungskonzepte, mit denen sie ihre Erfahrungen mit Gemeinwesen und Politik strukturieren, ordnen und interpretieren können.
Politische Bildung in der Schule muss alle Dimensionen der Demokratie umfassen. Politik und Demokratie sind als gedankliche Gebilde an sich abstrakt. Elementarisierende Zugänge ermöglichen die Vermittlung grundlegender und unabdingbarer Zusammenhänge der Demokratiebildung. Die Schülerinnen und Schüler können bei der Recherche von politischen Informationen und Nachrichten auf das Konzept der Leichten Sprache zurückgreifen.
Wenn Inhalte didaktisch reduziert und elementarisiert werden, finden die Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses im Politikunterricht besondere Beachtung. Politische Meinungen dürfen nicht lenkend vorgegeben werden. Ziel politischer Bildung ist die eigene Urteilsfähigkeit und Meinungsbildung der Schülerinnen und Schüler. Was in Politik und Gesellschaft kontrovers diskutiert wird, muss auch im Unterricht kontrovers abgebildet werden. Politische Fragestellungen und Probleme müssen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden.
Wenn Standpunkte geäußert werden, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar sind, ist es Auftrag der Lehrkräfte, dies nicht unkommentiert stehen zu lassen und klar Position zu beziehen. Hierzu braucht es eine Grundrechteklarheit und Konfliktfähigkeit aufseiten der Lehrkräfte und der Schulleitungen. Das Spektrum der Kontroversität muss entsprechend klar definiert und von menschenabwertenden und demokratiefeindlichen Positionen abgegrenzt werden.