Anlage 1 PflAPrV
Diese curriculare Einheit fokussiert solche Lebenssituationen, in denen beruflich Pflegende die zu pflegenden Menschen und ihre Bezugspersonen bei der Bewältigung von Entwicklungsherausforderungen begleiten, unterstützen und beraten, um eine individuelle Lebensgestaltung zu ermöglichen. Dies beinhaltet
- die Begleitung, Unterstützung und Beratung bei der Bewältigung von Entwicklungsherausforderungen (Anerkennung individueller Lebenswelten, Anknüpfung an die individuelle Lebensgeschichte, die Berücksichtigung der Selbsteinschätzung der Lebenssituation, Orientierung an individuellen Bedeutungszusammenhängen, Respektierung der Selbstbestimmung),
- die Beziehungsgestaltung durch Einbindung sozialer Netzwerke, Belastungen, Überlastungen und Rollenkonflikte.
1./2. Ausbildungsdrittel
- lebensweltorientierte Pflegeprozessgestaltung unter Berücksichtigung des familialen Umfeldes
1./2. Ausbildungsdrittel
- Die Auszubildenden reflektieren den Widerspruch zwischen Nahsein in der Pflegebeziehung und Fremdheitserleben in der Konfrontation mit Lebensentwürfen und Lebenswelten anderer Menschen
- Sie setzen sich mit vorgeprägten Menschen- und Familienbildern sowie mit so genannten Normalbiografien auseinander.
Die Auszubildenden
- integrieren in ihr Pflegehandeln lebensweltorientierte Angebote zur Auseinandersetzung mit und Bewältigung von Pflegebedürftigkeit und ihren Folgen (I.1g).
- erheben soziale und biografische Informationen des zu pflegenden Menschen und seines familiären Umfeldes und identifizieren Ressourcen in der Lebens- und Entwicklungsgestaltung (I.5.a).
- nutzen Angebote für Menschen verschiedener Altersgruppen zur sinnstiftenden Aktivität, zur kulturellen Teilhabe, zum Lernen und Spielen und fördern damit die Lebensqualität und die umfassende Entwicklung in der Lebensspanne (I.5.b).
- berücksichtigen bei der Planung und Gestaltung von Alltagsaktivitäten die Bedürfnisse und Erwartungen, die kulturellen und religiösen Kontexte sowie die Lebens- und Entwicklungsphase der zu pflegenden Menschen (I.5.c).
- identifizieren die Potenziale freiwilligen Engagements in verschiedenen Versorgungskontexten (I.5.d).
- wahren das Selbstbestimmungsrecht des zu pflegenden Menschen, insbesondere, wenn dieser in seiner Selbstbestimmungsfähigkeit eingeschränkt ist (I.6.a).
- verfügen über grundlegendes Wissen zu familiären Systemen und sozialen Netzwerken und schätzen deren Bedeutung für eine gelingende Zusammenarbeit mit dem professionellen Pflegesystem ein (I.6.d).
- bauen kurz- und langfristige Beziehungen mit Menschen unterschiedlicher Altersphasen und ihren Bezugspersonen auf und beachten dabei die Grundprinzipien von Empathie, Wertschätzung, Achtsamkeit und Kongruenz (II.1.b).
- erkennen grundlegende, insbesondere gesundheits-, alters- oder kulturbedingte, Kommunikationsbarrieren und setzen unterstützende Maßnahmen ein, um diese zu überbrücken (II.1.e).
- beteiligen sich an der Organisation pflegerischer Arbeit (III.1.d).
- beteiligen sich an einer effektiven interdisziplinären Zusammenarbeit in der Versorgung und Behandlung und nehmen Probleme an institutionellen Schnittstellen wahr (III.3.a).
- verfügen über grundlegendes Wissen zu rechtlichen Zuständigkeiten und unterschiedlichen Abrechnungssystemen für stationäre, teilstationäre und ambulante Pflegesektoren (IV.2.d).
- begründen und reflektieren das Pflegehandeln kontinuierlich auf der Basis von ausgewählten zentralen pflege- und bezugswissenschaftlichen Theorien, Konzepten, Modellen und evidenzbasierten Studien (V.1.c).
- verstehen die Zusammenhänge zwischen den gesellschaftlichen, soziodemografischen und ökonomischen Veränderungen und der Berufsentwicklung (V.2.f).
Handlungsanlässe
1./2. Ausbildungsdrittel
- (junge) erwachsene Menschen mit Unterstützungsbedarf in der Lebensgestaltung aufgrund gesundheitsbedingter und/oder funktionaler Veränderungen
- Eintritt von Pflegebedürftigkeit durch Beeinträchtigung von Selbstständigkeit und Funktionseinschränkungen
- Wegfall sozialer Netzwerke und sozialer Ressourcen, soziale Isolation, Vereinsamungsgefahr
- Veränderungen/Wechsel des Wohnraumes und Wohnumfeldes als Zäsur der individuellen Lebenswelt
Kontextbedingungen
1./2. Ausbildungsdrittel
- Gesellschaftliche Entwicklungen, die Lebensverläufe und Gesundheitsverläufe beeinflussen (Verhaltens- und Verhältnisprävention): Technisierung, Digitalisierung, Überfluss, Armut, Nahrungsmittelverfügbarkeit, Entgrenzung von Arbeit, kulturelle und religiöse Vielfalt
- Wohnraum und Wohnumfeld, stationäre und ambulante Versorgungskontexte mit ihren Schnittstellen
- rechtliche Zuständigkeiten und Abrechnungssysteme für verschiedene Pflegesektoren
- Möglichkeiten sozialer Vernetzung; besondere Netzwerke von Menschen mit LSBTI-Identitäten
- lebensaltersentsprechende, entwicklungsgerechte und diversitätssensible Wohnraum und Umgebungsgestaltung
- RL/REK: Angebote religiöser Institutionen
Ausgewählte Akteure
1./2. Ausbildungsdrittel
- zu pflegende Menschen ab dem jungen Erwachsenenalter bis zum höheren Lebensalter und mit unterschiedlicher sexueller und geschlechtlicher Identität
- Bezugspersonen
- intraprofessionelles Pflegeteam (Qualifikationsmix)
Erleben/Deuten/Verarbeiten
1./2. Ausbildungsdrittel
Auszubildende
- Erleben von Irritation, Ungewissheit
- Erleben von Stress und Zeitdruck
- Erleben von Nähe und Distanz
- unterschiedlichen Lebensentwürfen
- unterschiedlichen Werten und Normen
- Frustrationsgrenzen und Gewalttendenzen
- Ablehnung, Vereinnahmung
- Homophobie und (unbewusste) Heteronormativität
- unbegründete Ängste vor Selbstinfektion (HIV-positive Menschen)
Zu pflegender Mensch
- Entwicklungsaufgaben in der Bewältigung von Entwicklungskrisen
- Erleben von Pflegebedürftigkeit
- Erleben eines veränderten Zeitbewusstseins
- Erleben von Verlust im Allgemeinen und von sozialen Kontakten im Besonderen
- Diskriminierungserfahrungen, Minderheitenstress und Stigma-Management von LSBTI
Familiensystem
- Auswirkungen von Entwicklungsrisiken, Entwicklungskrisen und des Eintritts von Pflegebedürftigkeit auf das Familiensystem und auf die Entwicklung anderer Familienmitglieder
Handlungsmuster
1./2. Ausbildungsdrittel
- Biografiearbeit und Aktivität (Beobachtungen und Gespräche, Erzählungen und Erinnerungen („narrative Kultur“)) [D]
- sprachlich-prozedurale und leiblich-affektive Interaktion mit dementiell veränderten Menschen
- Pflegevisiten
- Beratungsmethoden zur Einschätzung der Situation durch die zu pflegenden Menschen (und ihre Angehörigen), zum Ausloten ihrer potenziellen Handlungsmöglichkeiten oder -barrieren
- lebensweltlich orientierte Pflege(prozess)dokumentation
- Erkennen und Verstehen biografisch bedingter unterschiedlicher Lebensentwürfe und unterschiedlicher Lebensgestaltung, subjektiver Krankheits- und Gesundheits-überzeugungen sowie der darin vorhandenen Ressourcen
- Erfassen bedeutsamer Orientierungsmuster, elementarer Bedürfnisse und eingenommener Haltungen bei Aufnahme in eine Einrichtung oder beim Aufsuchen in der eigenen Häuslichkeit
- RL/REK: diversitätssensible Biografiearbeit in religiös-ethischer Perspektive
1./2. Ausbildungsdrittel
- Grundlagen der Biografiearbeit
- Konzept der Lebenswelt und Lebensweltorientierung
- Veränderungen des Sprachvermögens und der sprachlichen Verständigungsfähigkeit in unterschiedlichen Demenzstadien
- Konzepte/Theorien der familienorientierten Pflege, inkl. traditionelle Familie und Vielfalt der Lebensformen, z. B. Marie-Luise Friedemann
- Konzepte der inter-/transkulturellen Pflege, z. B. Madeleine Leininger
- Konzeptionelle Ansätze der Intersektionalität und einer Diversity-Pflege, z. B. Andrea Zielke-Nadkarni
- Pflegebedürftigkeit: sozialrechtliche Grundlagen des SGB XI, Begriff, Begutachtungsassessment (NBA), Begutachtungsrichtlinien, Pflegegrade
- Strukturmodell der Pflegedokumentation (SIS)
Zum Beispiel:
1./2. Ausbildungsdrittel
- Szenisches Spiel zur Identifizierung von Interaktionsdimensionen und Interaktionsformen in der Interaktion mit dementiell veränderten Menschen
- Simulation eines Informationsgespräches über Fragen im Zusammenhang mit der Feststellung von Pflegebedürftigkeit
- Simulation eines Beratungsgespräches für pflegende Bezugspersonen
- Simulation eines Erstbesuches in der häuslichen Umgebung des pflegenden Menschen
Zum Beispiel:
1./2. Ausbildungsdrittel
- Erkundungsauftrag: Angebote der Tages- und Alltagsgestaltung in stationären Einrichtungen oder zu sozialen Aktivitäten, die von der ambulanten Pflegeeinrichtung organisiert werden, einschließlich Zuständigkeiten der verschiedenen Berufsgruppen; Einbindung/Beteiligung der beruflich Pflegenden
- Falldokumentation: Lebensgeschichten nachzeichnen
- Recherche von niederschwelligen Angeboten/Entlastungsangeboten für pflegende Bezugspersonen in der ausbildenden Einrichtung
1./2. Ausbildungsdrittel
- Lernsituationen, in denen Menschen in der Folge unterschiedlicher entwicklungsbedingter, funktionaler und/oder gesundheitsbedingter Herausforderungen ihre Lebensentwürfe neu ausrichten und ihre individuelle Lebensgestaltung anpassen müssen
- Teilnahme an einer Veranstaltung „Erzähl mir deine Geschichte“, Erzählcafé, Packen eines Erinnerungskoffers
- Lernsituation eines älteren Menschen mit Migrationsgeschichte ohne Familiennachzug, der pflegebedürftig wird und sein gewohntes Lebensumfeld im Quartier nicht verlassen möchte
- Lernsituation eines jungen Erwachsenen, der nach einer Querschnittslähmung in Folge eines Motorradunfalls (vorübergehend) in einer Pflegeeinrichtung lebt und eine Neuausrichtung seines Wohnumfeldes und eine berufliche Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt anstrebt
- Lernsituation eines älteren Menschen, der z. B. nach mehrfachen Sturzereignissen oder aufgrund einer schweren Hör- oder Sehbeeinträchtigung nicht in das häusliche Lebensumfeld zurückkehren kann