Anlage 1 PflAPrV
Rehabilitative Pflege ist ein zentraler Leitgedanke in verschiedenen Handlungsfeldern der Pflege. Sie ist auf die Unterstützung und Begleitung bei der selbstständigen Lebensführung und Alltagsbewältigung sowie die Förderung der sozialen Teilhabe gerichtet. Insbesondere ist sie von Bedeutung bei Menschen aller Altersstufen, die von chronischen Erkrankungen, (drohenden) Behinderungen oder den Folgen von Unfällen betroffen sind.
Pflegefachfrauen und -männern kommt im interdisziplinär ausgerichteten Rehabilitationsprozess eine spezifische Rolle zu:
- Zusammenarbeit in einem interprofessionellen Team
- Unterstützung der zu pflegenden Menschen und ihrer Bezugspersonen bei der Bewältigung krankheits- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigungen und der Wiedererlangung und Aufrechterhaltung der Lebensqualität
- Förderung der Übernahme des therapeutisch Erlernten in den Alltag
- Unterstützung bei diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen
- Schaffung von Voraussetzungen für therapeutische Übungen und Trainings zur Wiedererlangung von Alltagskompetenzen und Schutz der zu pflegenden Menschen vor Überforderung
- Stärkung des Selbstbewusstseins der zu pflegenden Menschen, Förderung der Teilhabe und Ausrichtung auf ein möglichst autonomes Leben in der Gesellschaft
Die curriculare Einheit wird folgend unterteilt:
7.1.2 Erstes und zweites Ausbildungsdrittel
- rehabilitative Aufgaben erkennen, in wenig komplexen Pflegesituationen übernehmen und Erschließung des Stellenwerts der Pflege in der Rehabilitation und einem interprofessionellen Team
- Die Auszubildenden können selbstbewusst den pflegerischen Beitrag zur Wiederherstellung von Gesundheit oder zur Erlangung von Lebensqualität, Autonomie und Selbstständigkeit im interprofessionellen Team ausweisen und positionieren sich dazu.
- Sie reflektieren widersprüchliche Anforderungen, die sich aus dem Wunsch der zu pflegenden Menschen nach Normalität und ein Leben mit bedingter Gesundheit ergeben und nehmen zu dem gesellschaftlichen Phänomen der Stigmatisierung von Menschen mit Behinderung Stellung.
- Sie reflektieren erschwerende institutionelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen für ein Leben in bedingter Gesundheit und nehmen zu sozialrechtlichen Normen im Hinblick auf ethische und wirtschaftliche Maßstäbe Stellung.
- Sie reflektieren pflegeberufspolitische Interessensvertretungen im Kontext divergierender Interessen in der Gesundheitspolitik.
Die Auszubildenden
- beteiligen sich an der Organisation und Durchführung des Pflegeprozesses (I.1.b).
- nutzen ausgewählte Assessmentverfahren und beschreiben den Pflegebedarf unter Verwendung von pflegediagnostischen Begriffen (I.1.c).
- schlagen Pflegeziele vor, setzen gesicherte Pflegemaßnahmen ein und evaluieren gemeinsam die Wirksamkeit von Pflege (I.1.e).
- erheben pflegebezogene Daten von Menschen aller Altersstufen mit gesundheitlichen Problemlagen sowie zugehörige Ressourcen und Widerstandsfaktoren (I.2.a).
- interpretieren und erklären die vorliegenden Daten bei Menschen mit überschaubaren Pflegebedarfen und gesundheitsbedingten Einschränkungen anhand von grundlegenden pflege und bezugswissenschaftlichen Erkenntnissen (I.2.b).
- setzen geplante präventive Pflegeinterventionen sowie Interventionen zur Förderung von Gesundheit um (I.2.c).
- wahren das Selbstbestimmungsrecht des zu pflegenden Menschen insbesondere, wenn dieser in seiner Selbstbestimmungsfähigkeit eingeschränkt ist (I.6.a).
- unterstützen verantwortlich Menschen mit angeborenen oder erworbenen Behinderungen bei der Kompensation eingeschränkter Fähigkeiten (I.6.b).
- nutzen ihr grundlegendes Wissen über die langfristigen Alltagseinschränkungen, tragen durch rehabilitative Maßnahmen zum Erhalt und zur Wiedereingliederung von Alltagskompetenz bei und integrieren hierzu auch technische Assistenzsysteme (I.6.c).
- erkennen eigene Emotionen sowie Deutungs- und Handlungsmuster in der Interaktion (II.1.a).
- informieren Menschen aller Altersstufen zu gesundheits- und pflegebezogenen Fragen und leiten bei der Selbstpflege insbesondere Bezugspersonen und Ehrenamtliche bei der Fremdpflege an (II.2.a).
- wenden didaktische Prinzipien bei Angeboten der Information und Instruktion an (II.2.b).
- erkennen das Prinzip der Autonomie des zu pflegenden Menschen als eines von mehreren konkurrierenden ethischen Prinzipien und unterstützen zu pflegende Menschen bei der selbstbestimmten Lebensgestaltung (II.3.b).
- sind sich der Bedeutung von Abstimmungs- und Koordinierungsprozessen in qualifikationsheterogenen Teams bewusst und grenzen die jeweils unterschiedlichen Verantwortungs- und Aufgabenbereiche begründet voneinander ab (III.1.a) und fordern kollegiale Beratung ein und nehmen sie an (III.1.b).
- wirken entsprechend der rechtlichen Bestimmungen an der Durchführung ärztlich veranlasster Maßnahmen der medizinischen Diagnostik und Therapie im Rahmen des erarbeiteten Kenntnisstandes mit (III.2.b).
- beteiligen sich an einer effektiven interdisziplinären Zusammenarbeit in der Versorgung und Behandlung und nehmen Probleme an institutionellen Schnittstellen wahr (III.3.a).
- reflektieren in der interprofessionellen Kommunikation die verschiedenen Sichtweisen der beteiligten Berufsgruppen (III.3.b).
- nehmen interprofessionelle Konflikte und Gewaltphänomene in der Pflegeeinrichtung wahr und verfügen über grundlegendes Wissen zu Ursachen, Deutungen und Handhabung (III.3.c).
- wirken an der Koordination von Pflege in verschiedenen Versorgungskontexten mit sowie an der Organisation von berufsübergreifenden Leistungen (III.3.d).
- beteiligen sich auf Anweisung an der Evaluation von interprofessionellen Versorgungsprozessen im Hinblick auf Patientenorientierung und -partizipation (III.3.f).
- orientieren ihr Handeln an qualitätssichernden Instrumenten, insbesondere an evidenzbasierten Leitlinien und Standards (IV.1.b).
- erschließen sich wissenschaftlich fundiertes Wissen zu ausgewählten Themen und wenden Kriterien zur Bewertung an (V.1.b).
Handlungsanlässe
1./2. Ausbildungsdrittel
Ausgewählte Pflegebedarfe, die bei zu pflegenden Menschen infolge von neurologischen Erkrankungen, Erkrankungen des Bewegungs- und Stützsystems, angeborener und erworbener Behinderung oder von Unfallereignissen häufig vorkommen, z. B.
- beeinträchtigtes Wohlbefinden
- beeinträchtigte körperliche Mobilität/Gehfähigkeit
- beeinträchtigte Mobilität mit dem Rollstuhl
- Sturzgefahr
- Körperbildstörung
- Neglect
- verzögerte(s) Wachstum und Entwicklung
- gestörte Denkprozesse
- beeinträchtigte Gedächtnisleistung
- Orientierungsstörung
- ineffektive Impulskontrolle
- beeinträchtigtes Essverhalten
- beeinträchtigte Urin- und Stuhlausscheidung
- Schmerzen
- desorganisiertes kindliches Verhalten
- Bereitschaft für eine verbesserte Selbstfürsorge
- Hoffnungslosigkeit
- Machtlosigkeit
- unwirksame Adhärenz
- beeinträchtigte Resilienz
- Relokationsstresssyndrom
- beeinträchtigte verbale Kommunikation
- beeinträchtigte soziale Interaktion
- Stressüberlastung
- situationsbedingtes geringes Selbstwertgefühl
- Angst
- Trauer
RL/REK: Hoffnungslosigkeit und der Wunsch nach Sterbehilfe; religiöse Ressourcen und Hoffnungsbilder
Kontextbedingungen
1./2. Ausbildungsdrittel
Mesoebene
- ambulante, teilstationäre und stationäre Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation, der Kinder- und Jugend-Rehabilitation, Nachsorgeeinrichtungen bzw. berufliche Rehabilitation, Einrichtungen der Anschlussheilbehandlungen (AHB), Rehabilitationskliniken sowie ambulante und häusliche Kontexte
Makroebene
- ICF-Konzept (WHO Modell)
- UN-Behindertenrechtskonvention (kurz: UN-BRK)
- relevante Gesetze: z. B. BTHG, Präventionsgesetz (siehe auch CE 04), SGB V, VII, IX, XI
- barrierefreier öffentlicher Raum
Ausgewählte Akteure
1./2. Ausbildungsdrittel
- Auszubildende, Pflegefachfrauen und -männer
- zu pflegende Menschen in verschiedenen Lebensphasen und ihre Bezugspersonen
- interprofessionelles Team (z. B. Physio-/Ergotherapeutinnen und -therapeuten, Logopädinnen und Logopäden, Ärztinnen und Ärzte, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Psychologinnen und Psychologen, Psychiaterinnen und Psychiater, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Diätassistentinnen und Diätassistenten, Heilpädagoginnen und Heilpädagogen)
Erleben/Deuten/Verarbeiten
1./2. Ausbildungsdrittel
Auszubildende
- Anteilnahme und Ungewissheit, Mitgefühl, Aushalten, Ungeduld, Ambivalenz zwischen Fürsorge und Förderung von Eigenständigkeit, Zutrauen, Erfolgserleben
- Erleben von fremdbestimmten Anteilen im interprofessionellen Team, sich nicht ernst genommen fühlen, Unsicherheit bei der Findung des professionellen pflegerischen Auftrags im interprofessionellen Team
Zu pflegende Menschen und pflegende Bezugspersonen
- Ambivalente Gefühlslage der Betroffenen: Erleben von Hilflosigkeit, Körpererleben, Angst, Unbeholfenheit, Ungewissheit, Ungeduld, Gefühle von Abhängigkeit, Verlust der Unversehrtheit, Scham, Traurigkeit, Erleben von Stigmatisierung, aber auch Aufrechterhaltung oder Wiedererlangung von Lebensfreude, Stolz, Hoffnung, Vertrauen in die eigenen Befähigungen, Neues lernen, Zuversicht, Sinnfindung
- Reha-Motivation (Ergebniserwartungen und Selbstwirksamkeitserwartungen und der Einfluss auf das Rehabilitationsergebnis)
- Erwartungshaltungen und ihr Einfluss auf die berufliche Rehabilitation
- körperliches und emotionales Wohlbefinden
- Depressivität
- Bedeutung der Partnerschaft und des Familiensystems
RL/REK: Hoffnungslosigkeit und der Wunsch nach Sterbehilfe; religiöse Ressourcen und Hoffnungsbilder
Handlungsmuster
1./2. Ausbildungsdrittel
Im selbstständigen Verantwortungsbereich:
- Pflegebedarfe in rehabilitativen Kontexten feststellen, Planung, Steuerung, Durchführung, Dokumentation und Evaluation des Pflegeprozesses, dabei
- Bezugnahme auf entsprechende Pflegetheorien und -modelle sowie spezifische Assessmentinstrumente der Rehabilitation
- situationsbedingte Festlegung von Rehabilitationszielen (gemeinsam mit den zu pflegenden Menschen/Bezugspersonen)
- Förderung von Selbstständigkeit, Gesundheit und Autonomie bei Beeinträchtigungen der Selbstversorgung gestalten
- Verhaltensinterventionen (z. B. bei Bewegungs- und/oder Körperbildstörungen, Wahrnehmungs- und Ausdrucksförderung, Förderung motorischer und geistiger Fähigkeiten)
- Durchführung von gezielten Schulungen zur Förderung der Alltagsbewältigung unter Berücksichtigung biografisch bedingter Gewohnheiten, von Lebenslagen und sozialen Unterstützungssystemen sowie unter Nutzung technischer und digitaler Assistenzsysteme
- Angebote zur Stärkung der Gesundheitskompetenz (Health Literacy, Förderung der Adhärenz und Eigenverantwortung, Coping, Empowerment)
- Information über Rehabilitative Einrichtungen und Versorgungsprozesse sowie Versorgungskonzepte
Im eigenständigen Verantwortungs- und Aufgabenbereich:
- Unterstützung bei diagnostischen und therapeutischen Interventionen/Anordnungen
- Schmerzmanagement und Verabreichung von Medikamenten auf ärztliche Anordnung im Pflegekontext
- Case- und Umgebungsmanagement (mit)gestalten
Im interprofessionellen Verantwortungs- und Aufgabenbereich:
- interprofessionellen Rehabilitationsprozess mitgestalten (gemeinsam mit dem zu pflegenden Menschen/den Bezugspersonen und beteiligten Berufsgruppen)
- Evaluationsinstrumente zur Wirksamkeit von interprofessionellen Rehabilitationsprozessen anwenden und reflektieren
- zur Übernahme des therapeutisch Erlernten in den persönlichen Alltag schulen und unterstützen
- Verlegungsplanung bzw. Überleitung in das jeweilige Umgebungsmanagement (mit)gestalten
- im interprofessionellen Team zusammenarbeiten und an interprofessionellen Fallbesprechungen teilnehmen [D]
- Verhältnis von Pflege und Rehabilitation
- Berufs- und Pflegeverständnis in Bezug auf die Rolle der Pflege im Rehabilitationsprozess (aktuelle Studien)
- Einblick in berufspolitische Verbände/Selbstverwaltungsorgane der Pflege (Pflegekammer) und deren Mitgestaltungsmöglichkeiten in der Gesundheitspolitik
- Überblick über Anatomie und Physiologie des Nerven- und Stütz-/Bewegungssystems
- Überblick über ausgewählte Erkrankungen des Nervensystems und Stütz-/ Bewegungssystems, z. B. Apoplex, Rheumatische Arthritis (auch bei Kindern und Jugendlichen), Infantile Zerebralparese, Rückenmarkschädigungen oder Folgen von Unfällen
- Grundlagen des Medikationsmanagements
- theoretische Grundlagen zu Inklusion (Theorien, Konzepte, Kontroversen)
- Grundlagen der relevanten sozialrechtlichen Vorgaben und deren Auswirkungen auf Pflege- und Unterstützungsleistungen
1./2. Ausbildungsdrittel
Zum Beispiel:
- Erkundung bzw. Exkursion hinsichtlich situativ geeigneter technischer und digitaler Assistenzsysteme (z. B. Exoskelett, Sprachcomputer)
- Rollenspiel zu konkreten Schulungssituationen in der rehabilitativen Pflege (z. B. Gehhilfen bei Hemiplegie, Rollstuhlfahren lernen eines querschnittgelähmten Jugendlichen)
- Rollenspiel zu einer ausgewählten interprofessionellen Fallbesprechung mit anschließender Reflexion
1./2. Ausbildungsdrittel
Zum Beispiel:
- Erkundungsaufgabe zu pflegerischen Interventionen mit rehabilitativem Charakter (hier können spezifische pflegerische Interventionen bei Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Menschen im höheren Lebensalter in den Blick genommen werden)
- Beobachtungs- und Reflexionsaufgabe einer interprofessionellen Fallbesprechung, in der Pflegefachfrauen/-männer die pflegerische Perspektive im interprofessionellen Team einbringen und verhandeln (ambulant und stationär möglich) Fragen dazu: Wer ist beteiligt? Von wem wird die Besprechung moderiert? Welche Perspektiven werden eingebracht? Mit welchem Modell bzw. Instrument wird gearbeitet? Was sind die Prioritäten des Teams? Wie können welche Berufsgruppen zur Umsetzung des Rehabilitationsziels beitragen? Wie werden Verantwortlichkeiten festgelegt?
- Beobachtungs- und Reflexionsaufgabe einer Schulung im Umgang mit ausgewählten technischen und digitalen Assistenzsystemen (ggf. auch Analyse eines videografierten Beispiels unter Einhaltung des Datenschutzes) Fragen dazu: Welche Schritte der Schulung sind erkennbar und wie werden die biografisch erworbenen Gewohnheiten und Bewältigungsstrategien des zu pflegenden Menschen in den Schulungsprozess integriert? Welches Wissen wird für den Schulungsprozess benötigt? Welche Rolle spielt das leibliche Wissen?
Rehabilitative Pflege ist ein Querschnittsthema, welches in allen institutionellen Kontexten eingefordert wird und neben der aktivierenden Pflege vor allem eine Positionierung und Rollenübernahme im interprofessionellen Team erfordert. Da die Rehabilitationseinrichtungen sich auf bestimmte Erkrankungen spezialisiert haben (z. B. Neurologische Erkrankungen, Erkrankungen des Stütz- und Bewegungssystems etc.), sollten die jeweiligen regionalen Möglichkeiten mitbedacht werden. Dies gilt insbesondere, wenn entsprechende Praxiseinsätze geplant werden, um so exemplarisch Situationen aufnehmen zu können, die die aktuellen Erfahrungen der Auszubildenden aufgreifen. Dabei können Herausforderungen aus Sicht der Lernenden bearbeitet werden.
1./2 Ausbildungsdrittel
Mögliche Lernsituationen:
- Lernsituation, in der ein älterer Mensch nach einem Schlaganfall in seiner Selbstversorgung angeleitet wird
- Lernsituation, in der ein junger Mensch nach einem Unfall mit der Folge einer Querschnittslähmung im Hinblick auf seine Bewegungsförderung und sein Krafttraining im interprofessionellen Team unterstützt wird, mit dem Ziel der beruflichen Wiedereingliederung
- Lernsituation, in der ein zu pflegender Mensch die Anschlussheilbehandlung ablehnt und direkt in die Häuslichkeit entlassen wird
- Lernsituation, in der Eltern die körperlichen und geistigen Einschränkungen ihres Schulkindes nach einem Unfall akzeptieren lernen und eine zielgerichtete Förderung aufnehmen